Polare marine Megafauna braucht mehr als Meeresschutzgebiete

von Dr. Michael Wenger
06/18/2025

Eine neue Studie zeigt, dass das globale Ziel, 30 % der Ozeane unter Schutz zu stellen, für wandernde Meerestiere nicht ausreicht, insbesondere in den Polarregionen. Dort erfordern Bedrohungen wie Erwärmung, Schifffahrt und Plastikmüll dringende Maßnahmen, die über Meeresschutzgebiete hinausgehen, um das Überleben dieser Polarbewohner zu sichern.

Das globale Ziel, die biologische Vielfalt der Erde zu schützen, das im Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) festgelegt wurde, beinhaltet das ehrgeizige Ziel, mindestens 30 % der Ozeane zu schützen. Eine kürzlich durchgeführte umfassende Studie über die wandernde marine Megafauna, darunter auch Arten, die für die polaren Ökosysteme von entscheidender Bedeutung sind, deutet jedoch darauf hin, dass diese 30 % räumlicher Schutz allein nicht ausreichen, um diese Tiere wirksam zu schützen. Die Auswirkungen auf die Polarregionen, die rasante Umweltveränderungen durchlaufen, machen deutlich, dass ein umfassender Ansatz erforderlich ist, der über einen gebietsbezogenen Schutz hinausgeht.

Polare Meerestiere wie Pinguine verbringen mehr Zeit außerhalb von Meeresschutzgebieten (MPAs), was sie anfälliger für von Menschen verursachte Störungen macht. Bild: Michael Wenger

Die Studie, die einen umfangreichen Datensatz mit 11 Millionen Geopositionen von fast 16.000 verfolgten Individuen aus 121 Arten umfasst, liefert eine globale Bewertung der Raumnutzung durch marine Megafauna. Zu den analysierten Arten gehören Eisbären, Pinguine und verschiedene Robben, die alle zu den Symbolfiguren der polaren Meereszonen zählen. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Arten riesige Gebiete nutzen und dabei oft mehrere ausschließliche Wirtschaftszonen (AWZ) und Gebiete außerhalb der nationalen Hoheitsgewässer (ABNJ) durchqueren. Bemerkenswert ist, dass Eisbären nur 0,3 % ihrer erfassten Zeit in bestehenden Meeresschutzgebieten (MPAs) verbrachten, während Pinguine zwar 23,9 % ihrer Zeit in MPAs zubrachten, aber dennoch ein erheblicher Teil ihrer Bewegungen von den derzeitigen Schutzmaßnahmen nicht erfasst wird. Dies deutet darauf hin, dass die derzeitigen Meeresschutzgebiete, die in erster Linie zur Erhaltung bestimmter Lebensräume und nicht zur Berücksichtigung der weitreichenden und dynamischen Raumnutzung mobiler mariner Megafauna konzipiert wurden, nur begrenzt wirksam sind.

Menschlicher Druck in polaren Umgebungen

Die Studie nennt mehrere große anthropogene Bedrohungen mit globalen Auswirkungen, darunter Fischerei, Schifffahrt, Plastikverschmutzung und Erwärmung der Ozeane. Diese Bedrohungen sind allgegenwärtig: Über 96 % der weltweit identifizierten Important Marine Megafauna Areas (IMMegAs; wichtige Meeres-Megafauna-Gebiete) sind von Plastikverschmutzung, Schifffahrt und Erwärmung betroffen, und etwa 75 % sind Fischereiaktivitäten ausgesetzt. In den Polarregionen sind diese Belastungen besonders akut. Der Klimawandel, der durch eine etwa viermal schnellere Erwärmung der Arktis als im globalen Durchschnitt gekennzeichnet ist, trägt zum Verlust des Meereises bei, was sich direkt auf den Lebensraum der Eisbären auswirkt und den Zugang der Robben zu Nahrungsquellen beeinträchtigt und damit ihr Überleben gefährdet. Die Schifffahrt in der Arktis, die zwischen 2013 und 2019 vor allem aufgrund der Fischerei um 37 % zugenommen hat, erhöht das Risiko von Schiffskollisionen mit der marinen Megafauna. Lärmbelästigung ist ebenfalls ein Faktor, der kritische Verhaltensweisen wie die Nahrungssuche von Walen oder die Aufzucht der Jungen durch Eisbärinnen durch seismische Untersuchungen stören kann. Darüber hinaus stellt die Verschmutzung durch Plastik, einschließlich zurückgelassener, verlorener oder weggeworfener Fischereiausrüstung (ALDFG), eine Verstrickungsgefahr für Robben beispielsweise im Südpolarmeer dar, und Bewuchs an Schiffen gibt Anlass zur Sorge über die Einschleppung invasiver Arten. Auch die Einleitung von Grauwasser aus Schiffen trägt zur Meeresverschmutzung in diesen empfindlichen Lebensräumen bei.

Eisbären zählen zur marinen Megafauna. Besonders Mütter und ihre Jungen sind anfällig für alle Arten von Störungen und Veränderungen in ihrer polaren Umgebung. Bild: Michael Wenger

Polare Meeresschutzgebiete (MPAs): Fortschritte und Herausforderungen bei der Umsetzung

Trotz dieser Herausforderungen machen die Bemühungen um die Einrichtung von MPAs in den Polarregionen kleine, aber wichtige Fortschritte. Die 1982 gegründete Kommission für die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (Commission for the Conservation of Antarctic Marine Living Resources, CCAMLR) arbeitet mit einem ökosystembasierten Ansatz und setzt sich seit 2002 für die Entwicklung eines Netzwerks von MPAs im Südpolarmeer ein. Zu den wichtigsten Errungenschaften gehört die Einrichtung der MPA in der Rossmeer-Region im Jahr 2016, ein riesiges Schutzgebiet von 1,55 Millionen Quadratkilometern, das überwiegend als Zone ohne kommerzielle Fischerei verwaltet wird, um die Meeresvielfalt zu erhalten. Das 2009 von der CCAMLR eingerichtete South Orkney Islands South Shelf MPA war das erste MPA, das vollständig außerhalb einer nationalen Gerichtsbarkeit lag. Die Einrichtung und das effektive Management von MPAs in den Polarregionen stößt jedoch auf zahlreiche Hürden. Dazu gehören die lückenhafte Abdeckung biologischer Daten für die Naturschutzplanung in der Antarktis, die Komplexität der Erzielung eines internationalen Konsenses innerhalb von Entscheidungsgremien wie der CCAMLR und die Notwendigkeit einer robusten Durchsetzung und grenzüberschreitenden Koordination. Die raschen Umweltveränderungen in den Polarregionen stellen ebenfalls eine Herausforderung dar, da sich die Verbreitung und das Verhalten von Arten in einer Weise verändern können, die die Ausweisung statischer Schutzgebiete übersteigt.

Obwohl das Schutzziel von 30 Prozent als hilfreiches Ziel angesehen wird, zeigt unsere Analyse, dass es nicht ausreichen wird, um alle wichtigen Gebiete zu schützen

Professor David Sims, Co-Autor

Ein umfassender Ansatz zum Schutz der polaren Meere

Die Studie hebt hervor, dass bei einem Schutzziel von 30 % selbst bei optimaler Ausgestaltung der IMMegAs immer noch etwa 60 % dieser wichtigen Gebiete ungeschützt bleiben würden. David Sims, einer der Co-Autoren der Studie, erklärte zu diesen Ergebnissen: „Wir waren besorgt, dass sich diese Schlüsselgebiete in erheblichem Maße mit vom Menschen verursachten Bedrohungen wie der industriellen Fischerei und dem regen Schiffsverkehr überschneiden, die zu tödlichen Kollisionen mit vielen bereits bedrohten Megafauna-Arten führen können. Obwohl das 30-Prozent-Schutzziel als hilfreiches Ziel angesehen wird, zeigt unsere Analyse, dass es nicht ausreichen wird, um alle wichtigen Gebiete zu schützen. Das bedeutet, dass zusätzliche Milderungsstrategien erforderlich sind, um den Druck auf die marine Megafauna über die zu schützenden Gebiete hinaus zu reduzieren.

Für Polarregionen bedeutet dies, dass es nicht ausreicht, sich ausschließlich auf räumliche Schutzziele zu verlassen. Die Studie plädiert für eine umfassende Schutzstrategie, die eine Ausweitung der Schutzgebiete mit direkten Maßnahmen zur Verringerung des vom Menschen verursachten Drucks verbindet. Zu diesen Maßnahmen gehören die Einführung von Fangbeschränkungen, die Verpflichtung zur Anpassung von Fanggeräten und die Entwicklung von Verkehrstrennungsregelungen für Wildtiere und Schiffe. Auch die Bekämpfung der Ursachen der Plastikverschmutzung und die Regulierung von Lärm durch menschliche Aktivitäten sind von entscheidender Bedeutung.

Wandernde marine Megafauna wie Buckelwale brauchen mehr als nur räumlichen Schutz in ihren sommerlichen Futtergebieten, da sie sich durch verschiedene Gebiete bewegen, von nicht-regulierten offenen Ozeanen bis hin zu nationalen ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ), und dabei zahlreichen Formen von Störungen ausgesetzt sind. Bild: Michael Wenger

Während Meeresschutzgebiete zur Anpassungsfähigkeit der Arten an den Klimawandel beitragen können, bleiben globale Anstrengungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen von grundlegender Bedeutung, um die Erwärmung und Versauerung der Ozeane einzudämmen. Da marine Megafauna einen erheblichen Teil ihrer Zeit in nationalen Wirtschaftszonen verbringen, haben einzelne Nationen die Möglichkeit, innerhalb ihrer Hoheitsgebiete sofortige und wirksame Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels zu ergreifen. Gleichzeitig sind eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und die Integration in Abkommen wie den United Nations High Seas Treaty für den Schutz der Megafauna in Gebieten außerhalb der nationalen Hoheitsgewässer von entscheidender Bedeutung. Dieser Vertrag hat letzte Woche einen bedeutenden Schritt nach vorne gemacht, als 19 weitere Länder den Vertrag ratifiziert haben, sodass nun 50 der 60 für das Inkrafttreten erforderlichen Ratifizierungen vorliegen.

Insgesamt ist ein systematischer Planungsrahmen für die Erhaltung der Artenvielfalt im Meer, der alle Facetten der marinen Artenvielfalt berücksichtigt und die Prinzipien des Umweltrechts einbezieht, von entscheidender Bedeutung für die Erzielung effektiver Ergebnisse bei der Erhaltung der marinen Megafauna, sowohl in den Polarregionen als auch im Rest der Welt.

Link zur Studie: Sequeira et al (2025) Science 388 (6751) Global tracking of marine megafauna space use reveals how to achieve conservation targets