Seit mehr als 20 Jahren fordert ein wissenschaftlicher Schulwettbewerb Schülerinnen und Schüler aus ganz Chile dazu auf, neue Vorschläge zum Schutz des antarktischen Kontinents und seiner Artenvielfalt zu entwickeln. In einer Sonderreportage für Polar Journal reiste Nadia Politis zur Antarktischen Halbinsel und zur Professor-Julio-Escudero-Station des chilenischen Antarktis-Instituts (INACH), um die Gewinner der „Feria Antártica Escolar” (Antarktische Schulmesse) zu treffen. Wie sehen sie die Veränderungen, denen unser Planet gegenübersteht?
Foto: Harry Díaz/INACH.
Sie sind keine altgedienten Entdecker oder renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern Schülerinnen und Schüler, die, von Neugierde geleitet, echte Fragen über den weißen Kontinent erforschen. Durch die„Antarktische Schulmesse“ (FAE), die vom Chilenischen Antarktis-Institut (INACH) organisiert wird, verlässt die Wissenschaft das Klassenzimmer und wird zu einem Abenteuer. Auf diese Weise lädt Chile seine jungen Menschen ein, die Antarktis mit eigenen Augen zu entdecken und darüber nachzudenken. Nachdem sie sich in Punta Arenas getroffen, eine technische Ausbildung absolviert und im INACH Bekleidung erhalten haben, beginnen die Schülerinne und Schüller und die Lehrerschaft aus den Regionen Lota, Ñuñoa und Las Condes ihre Reise in die Antarktis als Gewinner und von nun an als Polarforscher.
„Wir haben uns die Antarktis so vorgestellt, wie sie in den Filmen gezeigt wird“, geben Helena Esparza und Marian Silva vom Liceo Bicentenario Carmela Silva Donoso in Ñuñoa zu und verweisen auf den überraschenden Mangel an Schnee auf dem felsigen Terrain am westlichen Ende der King George Insel während des antarktischen Sommers. „Aber der Vorteil von weniger Schnee ist, dass wir die Arten besser sehen können, da nicht alles bedeckt ist“, fügen sie hinzu.
Das Flugzeug landet auf dem Flugplatz Teniente Rodolfo Marsh Martin (betrieben durch die chilenische Luftwaffe) und die Stille wird von der Stimme der Flugbegleiterin durchbrochen, die verkündet: „Willkommen in der Antarktis“. „Die Zusammenarbeit mit Studierenden, Schülerinnen und Schülern ist immer sehr lohnend und bereichernd. Die Möglichkeit, ihnen die Antarktis vorzustellen und ihr Feedback zu erhalten, ist wirklich ein Vergnügen. Ich bin immer wieder von ihrem Enthusiasmus, ihrer Neugier und der Qualität ihrer Forschungsvorschläge beeindruckt“, sagt Dr. Cristine Trevisan, eine Sedimentgeologin und derzeitiges Mitglied des paläobiologischen Labors des INACH, das die Antarktis-Patagonien-Sammlung betreut.
Dr. Trevisan, eine Spezialistin für Paläobotanik, Paläoklima, Paläoumwelt, Paläoökologie und Paläobiogeographie, hat als wissenschaftliche Gutachterin und Jurymitglied für die FAE gearbeitet. Während der diesjährigen Ausgabe der Antarktis-Schul-Expedition (EAE) führte sie sechs Schülerinnen, bzw. Schüler und vier Lehrpersonen zu antarktischen Stätten, die wichtige Einblicke in das fossile Pflanzenleben bieten, das auf dem gefrorenen Kontinent entdeckt wurde: „Ich bin immer wieder beeindruckt von den Erkenntnissen, die sie während der Präsentationen vermitteln, und von ihrem echten Drang, Probleme zu lösen. Ihre Einstellung zeigt ein starkes Bewusstsein für die Probleme des Klimawandels“.
Das Polarerlebnis ist nicht darauf ausgelegt, junge Menschen – in der Regel im Alter von 16 bis 18 Jahren – zu bloßen Zuschauern zu machen. Stattdessen werden sie durch praktische Begegnungen mit den Menschen, die das Leben und die Forschung auf dem Kontinent möglich machen, in die Welt der Antarktis hineingezogen: Stationsvorsteher, Wissenschaftspersonal, Logistik-Crews, Kommunikations- und Bildungsspezialisten, Küchenpersonal und Angehörige der chilenischen Streitkräfte – einschließlich der Luftwaffe, des Heeres und der Marine. Ein Höhepunkt der Expedition ist der Besuch von Forschungsstationen anderer nationaler Antarktisprogramme, die einen seltenen Einblick in die globale wissenschaftliche Zusammenarbeit in einer der extremsten Umgebungen des Planeten bieten.
Die Schülerinnen und Schüler übernachteten auf der INACH-Basis Escudero und besuchten mehrere andere Stationen, darunter Chinas Große Mauer, Russlands Bellingshausen, Südkoreas King Sejong und die chilenische Basis Frei, die von der chilenischen Luftwaffe betrieben wird. Bei diesen Besuchen besichtigten sie Labore und Einrichtungen und erhielten aus erster Hand einen Einblick in die Zusammenarbeit dieser Stationen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. „Diese jungen Leute besuchen verschiedene Basen, und das ist bemerkenswert – es ermöglicht ihnen, den Geist der internationalen Zusammenarbeit in Echtzeit zu erleben“, sagt Dr. Gino Casassa Rogazinski, Glaziologe und Direktor des chilenischen Antarktisinstituts. „Dies ist ein Kernelement des Antarktisvertrags, der Funktionsweise der Antarktis, des Umweltschutzes und der antarktischen Wissenschaft insgesamt.“
„Es war eine unglaublich lohnende Erfahrung. Wir haben so viel erlebt, und es ist wirklich unvergesslich“, sagen Antonia Guerrero Quichel und Antonia Acuña Sanhueza vom Colegio Alexander Fleming in Las Condes. „Wir sind stolz auf alles, was wir erreicht und mitgemacht haben“, fügen sie hinzu.
An der 61. Ausgabe der chilenischen wissenschaftlichen Antarktis-Expedition (ECA), die gleichzeitig die letzte Mission der Saison war, nahm auch der chilenische Unterstaatssekretär für Wissenschaft, Technologie, Wissen und Innovation, Cristian Cuevas Vega, teil: „Eine Gruppe von sechs Studenten nahm daran teil – fünf davon junge Frauen –, was unsere Bemühungen widerspiegelt, mehr Frauen für MINT-Fächer zu begeistern. Hier wird deutlich, wie Frauen aktiv zur Antarktisforschung beitragen, und in vielerlei Hinsicht zeigt dies, dass Wissenschaft kein Geschlecht hat. Wir alle haben die gleichen Fähigkeiten, Wissenschaft zu betreiben, und in der Antarktis herrscht eine starke Atmosphäre des gegenseitigen Respekts, die wissenschaftliche Arbeit erst möglich macht.“
Die Erforschung von Makroalgen, Flechtensporen und Abwässern von antarktischen Basen waren die Hauptthemen, die von den Schülern Jeremías Toloza Reuca und Catalina Sierra Carrasco (Liceo Baldomero Lillo Figueroa, Lota) untersucht wurden; Helena Esparza López und Marian Silva Camacho (Liceo Bicentenario Carmela Silva Donoso, Ñuñoa); und Antonia Guerrero Quichel und Antonia Acuña Sanhueza (Colegio Alexander Fleming, Las Condes). Während der Expedition präsentierten die Studenten ihre Ergebnisse auf einem Antarktis-Seminar, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die vor Ort arbeiten, Mitglieder der Streitkräfte, die während der Saison auf King George Island stationiert sind, und alle Interessierten teilnahmen, die von der nächsten Generation von Polarforschern hören wollten.
Aus dem Klassenzimmer zur ersten Polarexpedition
FAE ist ein einzigartiger wissenschaftlicher Wettbewerb, der Schülerinnen und Schüler aus ganz Chile einlädt, Forschungsprojekte zu entwickeln, um die Chance zu haben, in die Antarktis zu reisen. Die 22. Auflage des Wettbewerbs läuft noch bis zum 27. Juni 2025. Die Gewinnerteams werden an der Antarktis-Schulexpedition zur Station „Profesor Julio Escudero“ auf King George Island teilnehmen. FAE ist mehr als nur ein Wettbewerb und dient als Tor zum Weißen Kontinent, um das Interesse an MINT-Fächern zu wecken und das Umweltbewusstsein der nächsten Generation in Chile zu fördern.
FAE läuft in drei Phasen ab: eine erste landesweite Ausschreibung, bei der Schulteams Forschungsideen zu antarktischen Themen einreichen; eine zweite Phase, in der ausgewählte Teams am School Science Meeting in Punta Arenas teilnehmen; und schließlich eine Expedition in die Antarktis für die Siegerteams des Wettbewerbs. Für die Ausgabe 2024 haben sich über 500 Teams angemeldet, 204 Vorschläge wurden bewertet und 15 wurden ausgewählt, um ihre Projekte in der Provinz Magallanes zu präsentieren.
Foto: Nadia Politis
„Die Tierwelt der Antarktis zu sehen, vor allem die Pinguine, war absolut unglaublich“, sagen Jeremías Toloza und Catalina Sierra, Absolventen des Liceo Baldomero Lillo Figueroa in Lota und jetzt Studenten der Fachrichtungen Metallurgietechnik und Geologie an der Universidad de Concepción. „Wenn wir in der Zukunft zurückkommen könnten, sobald wir unseren Abschluss gemacht haben, wäre das fantastisch“, fügen sie mit einem Lächeln hinzu.
Schätzungsweise 2’000 bis 2’200 Lehrerinnen und Lehrer aus ganz Chile haben seit dem Start im Jahr 2004 an der FAE teilgenommen. Diese Pädagoginnen und Pädagogen begleiten ihre Schülerschaft nicht nur – sie lernen, erforschen und staunen mit ihnen. Für viele von ihnen ist es das erste Mal, dass sie einen Fuß in die Antarktis setzen, und so wird diese Erfahrung zu einer einmaligen Gelegenheit, sowohl beruflich als auch persönlich zu wachsen. Ihre Rolle ist wichtig, um die wissenschaftliche Neugier zu wecken und eine Brücke zwischen dem Klassenzimmer und einer der entlegensten Regionen der Erde zu schlagen.
Während der FAE 2025 Expedition erlebten die Lehrer Olimpia Cifuentes Mendoza (Baldomero Lillo Figueroa Gymnasium, Lota), Cristian Michea Lobo (Bicentenario Carmela Silva Donoso Gymnasium, Ñuñoa) und Claudia Pizarro Ojeda (Alexander Fleming Gymnasium, Las Condes) die Antarktis zum ersten Mal. Für Lehrer Eddie Morales Toledo (Gymnasium Santo Tomás, Puerto Montt) war es jedoch eine Rückkehr – seine Teams gewannen die FAE sowohl 2022 als auch 2023. „Aufgrund der Pandemie konnte ich letztes Jahr nicht reisen, aber dieses Mal habe ich es endlich geschafft“, erklärt er.
„Das Bewerbungsverfahren ist nicht einfach – die Anforderungen sind hoch und die Projekte werden von spezialisierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geprüft“, erklärt Lehrerin Olimpia Cifuentes. „Dies war das zweite Mal, dass mein Team einen Vorschlag einreichte, und dank ihrer Beharrlichkeit und ihres Enthusiasmus haben sie nicht nur die nationale Auswahl bestanden, sondern ihr Projekt auch erfolgreich in der Endrunde in Punta Arenas verteidigt, wo die wissenschaftliche Jury sie zu einem der Top-Teams wählte.“ Die preisgekrönte Forschungsarbeit der Studenten Jeremías Toloza und Catalina Sierra trug den Titel „Akkumulation von mycosporinähnlichen Aminosäuren (MAAs) in den Rhodophyta-Makroalgen Palmaria decipiens und Iridaea cordata, die von der King George Insel unter natürlichen Bedingungen und in kontrollierten Algenkulturen gewonnen wurden„.
„Wir haben mit der regionalen Ministerin für Wissenschaft (SEREMI) für die südliche Makrozone, Verónica Vallejos, gesprochen, die auch eine Antarktisforscherin ist“, erklären Helena Esparza und Marian Silva. „Sie erzählte uns, dass noch vor wenigen Jahren dieser Teil der Escudero-Basis mit Schnee bedeckt gewesen wäre – aber das ist wegen des Klimawandels nicht mehr der Fall.“
Die beiden Schülerinnen des Liceo Bicentenario Carmela Silva Donoso in Ñuñoa sind in der Antarktis, um ihr Forschungsprojekt vorzustellen: „Analyse von Flechtensporen mit Hilfe der geometrischen Morphometrie als Instrument zur Messung des Klimawandels„, angeleitet von ihrem Lehrer Cristian Michea. Ihre wissenschaftliche Neugier ist eng mit dem verwoben, was sie vor Ort beobachten. „Es ist traurig, dass die Temperaturen steigen“, fügen sie hinzu. „Das hat so viele negative Folgen.“
Die Stimme einer Generation
„Wir glauben, dass wir eine wirklich wichtige Rolle haben“, sagen Antonia Guerrero und Antonia Acuña. „Unter 204 Einsendungen eines der drei ausgewählten Teams zu sein, bringt eine große Verantwortung mit sich“, fügen sie hinzu. Ihre Überlegungen gehen über das Persönliche hinaus: „Wir wollen etwas tun, um die Zukunft zu verbessern – nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt“. Die Schülerinnen präsentierten unter der Leitung ihrer Lehrerin Claudia Pizarro ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Evaluierung von Nanomagnetit zur effizienten Entfernung von Ciprofloxacin im Abwasser von chilenischen Antarktisbasen“. Ihr Vorschlag ist ein Beweis für das wachsende Interesse an der Bewältigung von Umweltproblemen durch angewandte Wissenschaft.
Fotos: Nadia Politis
Sowohl Schul- als auch Lehrpersonen beschrieben die Antarktis-Expedition als eine „lebensverändernde Erfahrung“ und betonten die Kameradschaft und Herzlichkeit der Profis, die sie auf ihrer Polarreise begleiteten. Zu ihnen gehörten die Spitzenköche Carol Alarcón Monsalve, Juan Velázquez Muñoz und Bárbara Valdés Concha, die täglich für gute Laune sorgten – nicht nur, indem sie die gefrorenen Mägen wärmten, sondern auch, indem sie spezielle Mahlzeiten zubereiteten, die man in der Antarktis selten sieht. Von farbenfrohen Salaten mit frischem Gemüse bis hin zu Eiscreme und sogar einem Geburtstagskuchen zum Geburtstag der Antarktisforscherin Angélica Casanova-Katny – ihre kulinarischen Bemühungen trugen zu einer unvergesslichen Erfahrung bei und sorgten für Komfort und Freude.
Die Bootsführerinnen und -führer Rodrigo Molina Delgado, Dayana Cañón Ulloa, Natalia Jeldres Haase und Belén Tariño Muñoz transportierten die Teams an Bord von Schlauchbooten durch die eisigen antarktischen Gewässer. In der Zwischenzeit sorgte das Ausbildungsteam des chilenischen Antarktis-Instituts – Andrea Peña, Constanza Jiménez, Jessica Paredes, Harry Díaz und René Quinán – für die Sicherheit der Gruppe und führte sie durch die polare Umgebung, wodurch die Expedition sowohl sicher als auch bereichernd war.
„Meine Erfahrung mit den FAE-Preisträgern hat mir gezeigt, dass sie zu einer Generation gehören, die sich große Sorgen um den Klimawandel macht“, sagt Dr. Cristine Trevisan. „Sie haben ein starkes Verständnis der Kernkonzepte und die meisten ihrer Forschungsprojekte – viele von ihnen von bemerkenswert hoher Qualität – konzentrieren sich auf die Auswirkungen der Klimakrise. Ihre Arbeit spiegelt sowohl solides Wissen als auch den echten Wunsch wider, Lösungen für die Herausforderungen zu finden, vor denen wir stehen.“ Informationen über die Antarctic School Fair, einschließlich der vollständigen Wettbewerbsrichtlinien und der zukünftigen Gewinner, finden Sie auf der Webseite des chilenischen Antarktis-Instituts INACH
Nadia Politis ist eine chilenische Wissenschaftsjournalistin und ehemalige Vizepräsidentin des chilenischen Verbands der Journalismus- und Kommunikationsfachleute für wissenschaftliche Kommunikation (ACHIPEC). Nadia hat Erfahrung in der Berichterstattung für Radio, Internet und Fernsehen. Bei CNN Chile berichtete sie über die Bereiche Wissenschaft und Internationales. Sie war die Gewinnerin des Medienprogramms des chilenischen Antarktis-Instituts (INACH) für die Berichterstattung in der Antarktis in den Jahren 2019 und 2025. Während der Pandemie veröffentlichte sie ihr erstes Buch, „Antarctica: stories of women explorers in the heart of the planet“, das sich an spanischsprachige Mädchen und Jugendliche richtet und unter www.exploradorasdelplaneta.cl
frei heruntergeladen werden kann. Nadia entwickelt weiterhin die Wissenschaftskommunikation in der Antarktis als Leiterin der Kommunikation des Millennium Institute Biodiversity of Antarctic and Subantarctic Ecosystems, bekannt als Instituto Milenio BASE, und leitet Wissenschaftsjournalismuskurse für Studierende.