Der Polare Rückblick greift die jüngsten Ereignisse aus den Polarregionen auf. Diese Woche werfen wir einen Blick auf Chiles präsidiales Engagement für die Antarktis, Berichte über US-Geheimdienstaktivitäten in Grönland und das Entstehen neuer arktischer Küsten durch den Gletscherrückgang.
Der Polare Rückblick ist eine gemeinsame Veröffentlichung des Redaktionsteams von polarjournal.net. Jede*r Autor*in wählt ein Thema aus, das sie/er in der vergangenen Woche interessant und wichtig fand. Die Initialen am Ende eines jeden Abschnitts geben die/den Autor*in an. Wir wünschen Ihnen viel Spaß damit.
Chile bekräftigt seine Antarktis-Strategie für 2032
Am Mittwoch, den 30. April, versammelten Gabriel Boric Font und Kanzler Alberto van Klaveren im chilenischen Präsidentenpalast La Moneda die Minister zur 58. Sitzung des Rates für Antarktispolitik. Diese hohe Ebene der Entscheidungsfindung spiegelt das starke Bestreben des Landes wider, die Antarktispolitik auf der Grundlage der Wissenschaft zu beeinflussen. Die Formalisierung der Mandate gab das Tempo für die Diskussionen über die Umsetzung der neuen nationalen Antarktispolitik vor, die im Oktober 2024 veröffentlicht wird.
Seit seiner Veröffentlichung hat Chile die Operation Estrella Polar II geleitet, die es dem Präsidenten ermöglichte, mit den eigenen Mitteln des Landes zum Südpol zu reisen. Seitdem hat der Eisbrecher Almirante Viel seine erste wissenschaftliche Saison in der Antarktis absolviert, „ein nationaler Stolz“, so der Staatschef: „Der Strategieplan 2026-2030 muss vorsehen, dass sich das Potenzial Chiles im Antarktisvertrag manifestiert, dass wir unsere aktive Präsenz in diesem Gebiet konsolidieren, die Position unseres Landes und insbesondere die der Region Magallanes stärken.“
Zu den Themen, die in La Moneda auf dem Tisch liegen, gehören der Bau einer neuen wissenschaftlichen Station (Teniente Luis Carvajal), die Renovierung des Glaciar Unión und die Förderung und Finanzierung wissenschaftlicher Maßnahmen, wobei zum Beispiel auf die logistischen Ressourcen des Verteidigungssektors und der nationalen Polarbetreiber (INACH) zurückgegriffen werden soll. „In der Antarktis gibt es viel zu tun, viel zu schützen, und dafür ist Chile von grundlegender Bedeutung“, betonte der Präsident vor einer Reihe von Ministern (Verteidigung, Umwelt, Gleichberechtigung, Bildung, Auswärtige Angelegenheiten). Chiles Agenda unterstreicht die Tatsache, dass das Land seine Aktivitäten bis zum Internationalen Polarjahr 2031-2032 verstärken wird. C.L.
US-Geheimdienst nimmt Grönland ins Visier und bringt die diplomatischen Gewässer ins Wanken
Berichte über eine verstärkte nachrichtendienstliche Tätigkeit der Vereinigten Staaten in Grönland, die sich auf die politische Landschaft, die Unabhängigkeitsbestrebungen und die Haltung der Bevölkerung gegenüber den US-Plänen für die Insel bezieht, sorgen für diplomatische Unruhe und wecken Bedenken hinsichtlich der Souveränität und des Vertrauens in die Allianz.
US-Behörden, darunter Berichten zufolge auch die CIA und die NSA, wurden damit beauftragt, Daten über grönländische und dänische Persönlichkeiten und Gruppierungen zu sammeln, die die Ziele der USA auf der Insel betreffen. Dieser Geheimdienstaufmarsch wird weithin als Teil einer offensiveren Haltung der USA in der Arktis gegenüber ihren Verbündeten angesehen und stellt die Stärke der Beziehungen in Frage.
Die Nachricht hat scharfe Vorwürfe hervorgerufen. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen erklärte: „Man darf keine Verbündeten ausspionieren“, während der grönländische Ministerpräsident Jens-Frederik Nielsen die mutmaßliche Spionage als „inakzeptabel“ bezeichnete. Dänemark hat den obersten US-Diplomaten vorgeladen, um die Missbilligung Kopenhagens zu unterstreichen. Gleichzeitig haben US-Beamte die Informationslecks verurteilt, ohne jedoch die geheimdienstlichen Bemühungen zu leugnen.
Die Auswirkungen sind erheblich. Solche Aktivitäten könnten die Beziehungen zwischen den USA, Dänemark und Grönland weiter belasten und möglicherweise die Solidarität der NATO untergraben. Die genaue Beobachtung innerer Angelegenheiten Grönlands könnte als Einmischung gewertet werden und die regionale Politik erschweren. Sowohl die Europäische Union als auch Vertreter indigener Organisationen und Räte haben Washington bereits dazu aufgerufen, internationale Grenzen zu respektieren und den Willen der Mehrheit der Grönländerinnen und Grönländer zur selbstbestimmten Zukunftsgestaltung anzuerkennen.
Diese Situation unterstreicht die Spannungen zwischen nationaler Sicherheit, dem Interesse an Ressourcen und lokalen Bestrebungen in einer sich verändernden Arktis. Da Dänemark sich darauf vorbereitet, am 12. Mai den Vorsitz des Arktischen Rates von Norwegen zu übernehmen, könnte diese Affäre die Zusammenarbeit innerhalb des Rates weiter beeinträchtigen, die durch geopolitische Fragen mit Russland bereits angespannt ist. M.W.
Neue arktische Küsten: Was schmelzende Gletscher hinterlassen
Mit dem Rückzug der Gletscher in der sich erwärmenden Arktis schrumpfen diese nicht nur – sie verändern auch die Landkarte. Eine neue Studie, veröffentlicht in Nature Climate Change, zeigt, dass zwischen 2000 und 2020 auf der gesamten Nordhalbkugel über 2.460 Kilometer neue Küstenlinien entstanden sind, zwei Drittel davon allein in Grönland.
Unter der Leitung des Glaziologen Jan Kavan vom Zentrum für Polarforschung an der Universität Südböhmen in Tschechien hat ein internationales Forschungsteam über 1.500 ins Meer mündende Gletscher analysiert, um zu dokumentieren, wie deren Rückzug die angrenzenden Küstenzonen verändert. Die so entstehenden neuen Küsten, meist aus lockerem Sediment aufgebaut, zählen zu den dynamischsten der Welt – sie sind besonders anfällig für Erosion, Überschwemmungen und Hangrutschungen.
Die Folgen sind so weitreichend wie die neu entstehenden Küsten selbst. Fjorde, die einst von nährstoffreichen Auftriebsströmungen geprägt waren, verändern sich – mit potenziell gravierenden Auswirkungen auf die Biodiversität und lokale Nahrungsnetze. Auch die wirtschaftlichen Interessen nehmen zu: ehemals eisbedeckte Gebiete geben mineralreiche Lagerstätten frei, ebenso wie instabile Hänge, die anfällig für Erdrutsche und Tsunamis sind – wie jener, der Grönland im Jahr 2023 traf.
Regionale Unterschiede spielen eine entscheidende Rolle: Tiefe Fjorde in Alaska führen zu langen Küstenlinien bei nur geringem Eisverlust, während in Franz-Josef-Land trotz dramatischer Gletscherrückgänge kaum Veränderungen an der Küstenlinie sichtbar sind. Die südliche Kanadische Arktis hingegen zeigt mit ihren kleinen, schmalen Gletschern, wie stark selbst geringere Eismassen die Küstenlandschaft umgestalten können.
Manche der neuen Küsten könnten vorübergehend durch zurückkehrenden Permafrost stabilisiert werden, während andere aufgrund von Auftauprozessen und zunehmender Erosion langfristig instabil bleiben. Mit der fortschreitenden Erwärmung der Arktis geben diese jungen paraglazialen Küsten einen Ausblick auf die Zukunft eines eisfreien Nordens – geformt von Kräften, die bislang nur unzureichend verstanden sind.
Kavan und sein Team wollen ihre Forschung nun ausweiten. Nächste Station: Ostgrönland – dort, wo ein gewaltiger Erdrutsch und Tsunami im Jahr 2023 zum Prüfstein dafür geworden sind, wie fragil diese neu entstehenden Landschaften tatsächlich sind. J.H.