Zu den Szenen, die polarjournal.net in dieser Woche beobachten konnte, gehörten ein Überflug über Grönland in einem kleinen zweimotorigen Flugzeug und die Klänge einer Taufe in einer Kirche in Ilulissat aus dem Jahre 1771.
Zwei Reporter von Polarjournal.net verbringen zwei Wochen in Ilulissat, um die Einwohner zu porträtieren und über einige der Probleme und Veränderungen zu berichten, die dort stattfinden. Um Ihnen einen Eindruck von der Reise zu vermitteln, finden Sie hier einige der Szenen, die sie erlebt haben.
Samstag, 5. April – von Nuuk nach Ilulissat
Ein kleines Flugzeug, ein kleines Theater.
Wir sind etwa zwanzig Passagiere.
Die Stewardess spricht, das Bordtelefon zwischen Wange und Schulter eingeklemmt. Sie hat ein rundes, glattes Gesicht, große schwarze Augen, feines, üppiges Haar, das sie streng zurückhält. Sie spricht und untermalt ihre Worte mit Gesten der Umstände – die gleichen wie anderswo, doch dieses Mal, hier, in diesem kleinen Flugzeug, in diesem kleinen Theater, sehen alle zu: die Schwimmweste (gelb, zerknittert und verblasst); die ziegelfarbene Pfeife; die Geste des Herunterziehens der Laschen; und schließlich die Maske.
Ende des 1. Aktes.
Sie schließt den Vorhang, der sie von der Kabine trennt, schaltet die Heizung ein (wir können unsere Mäntel ausziehen) und wir stellen uns vor, wie sie sich verwandelt – grönländische Schauspielerin hinter dem roten Vorhang von Air Greenland.
Das Stück dauert eine Stunde und sie spielt alle Rollen.
Das Flugzeug hebt ab. Ein paar Minuten später öffnet sie den Vorhang wieder. Sie hat sich umgezogen. Sie hat ihren Mantel ausgezogen. Sie trägt ihr Partykleid: ihr Stewardessen-Outfit. Sie geht durch die Reihen und bietet Kaffee und Kekse an.
Sie geht im Flugzeug hin und her, kehrt nach vorne zurück, parkt ihren Wagen und schließt den Vorhang, den sie aufgerollt und an der rechten Wand befestigt hatte.
Sie kommt zurück und setzt sich ein paar Minuten lang zu uns, bevor sie sich Kopfhörer über die Ohren stülpt.
Unter dem Flugzeug ragen Felsen aus dem Eis hervor. Die tiefstehende Abendsonne gleitet über eine weiße Fläche, die von ihren markanten Spitzen zerkratzt wird. Zwischen den endlosen Gebirgsketten liegen Seen begraben, bis die Wolken sie verwischen und verschwinden lassen, bis auf die letzten Zähne, die in einen baumwollartigen Schleier eingebettet sind. Wenn er sich lichtet, versinkt das schwarze, bodenlose Wasser in den Vertiefungen der erdfarbenen Hänge.
An ihrem Fuß schützen unzählige Einbuchtungen das Meer, das wie geronnene Milch gefriert. Platten davon brechen weg wie Baumstämme, die von einem Fluss getragen werden.
Wir haben gute Plätze im Orchester (nur ein Instrument): wir sitzen in der dritten Reihe. Die Propeller klingen wie beschleunigte elektrische Trommeln. Es ist schwer, es ist taub, es rüttelt. Es muss die Vögel erschrecken, denn der Himmel ist leer.
Während alle Teile des Flugzeugs vibrieren, dehnt sich der Gletscher aus, legt sich in Falten und wellt sich zwischen den Hügeln, verliert fast seine Grautöne und erlaubt dem Auge, sich in einem blendenden Weiß zu verlieren, das frei von Unvollkommenheiten ist.
Die Eiskappe. Ein weiterer Himmel. Himmel darüber und Himmel darunter. Und die Berge, weiß und schwarz wie faltige, fettige alte Haut.
Ilulissat erscheint durch die Fenster auf der linken Seite des Flugzeugs: ein paar Häuser, die sich im Eis, in den Wolken und im Nebel verlieren.
Sie spricht in das alte schwarze Telefon. Das Flugzeug beginnt mit dem Sinkflug, steigt dann wieder, dreht um und beginnt erneut mit dem Sinkflug – der Wind hat zweifellos seine Launen, wie wir feststellen, als wir zu den Wolken zurückkehren.
Die Stewardess hat nicht gezuckt. Sie beobachtet uns, ohne sich zu bewegen.
Ilulissat, winzig klein unter unseren Füßen.
Und die Eiskappe.
Kleines Flugzeug. Riesiges Theater.
Sonntag, 6. April, Nora’s Taufe
Sonntag.
Es ist ein schöner Morgen.
Gestern war der Himmel eine Mischung aus Grau und Weiß, die sich mit dem Schnee vermischte. Heute besteht er aus zwei großen Farbblöcken: Der Boden ist weiß, glänzend, dicht und dick; der Himmel ist blau, weit, perlmuttartig mit violetten Reflexen.
Wir gehen zur Zionskirche am anderen Ende der Stadt.
Es ist ein paar Minuten nach 9 Uhr, als wir vor dem Gebäude am Rande der Eisscholle ankommen. Die Kirchentür ist offen. Wir treten ein. Das Kirchenschiff ist leer und von Licht erfüllt. Wir bewegen uns langsam vorwärts. Stimmen kommen aus einem kleinen Raum hinter dem Altarraum. Wir nähern uns. Die Pfarrerin ist eine Frau. Wir sprechen sie auf Englisch an:
„Good morning, ma’am. Wir haben uns die Freiheit genommen, hierher zu kommen. Wir arbeiten für eine Schweizer Magazin und würden gerne wissen, ob Sie uns erlauben würden, die Zeremonie heute Morgen aufzunehmen (wir gehen ein Risiko ein, indem wir unsere Fragen kombinieren, aber wir haben keine Gewissheit, dass es heute überhaupt eine Zeremonie gibt).“
Und wir fügen hinzu:
„Nur Ton. Keine Bilder. Es geht um ein Schreib- und Radioprojekt.“
Sie denkt einen Moment nach, gestikuliert mit der Hand und verlässt den Raum. Wenige Augenblicke später kommt sie zurück und lächelt uns an.
„Das ist okay. Die Zeremonie beginnt um 10 Uhr. Aber keine Fotos. Und bitte nehmen Sie Rücksicht auf die Gemeinde.“
Wir gehen das Kirchenschiff zurück und lassen uns im Narthex nieder, um auf 10 Uhr zu warten.
Die Gläubigen murmeln Hymnen. Eine Galeone mit Artillerie, die durch die Geschützpforten zeigt, hängt mit gesetzten Segeln von der Decke. Der Organist in seinem Hemd greift in die Tasten. Die Synkopen der Orgel verlagern den Beginn der Strophen auf den Taktanfang, wie ein Festzug, der seinen Marsch wieder aufnimmt.
Sie erheben sich und drehen sich um. An diesem Sonntag um halb elf zieht ein Festzug in die Kirche ein. In den Händen eines jungen Mannes in Tracht: das Kind, mit weit geöffneten Augen. Da es noch nicht laufen kann, wird es zum Altar getragen, um unter den goldenen Kronleuchtern den Segen zu empfangen.
In schwarzem Gewand und weißer Halskrause hält die Pfarrerin von Ilulissat den Gottesdienst in Kalaallisut. Das Sonnenlicht auf dem Schnee scheint durch die großen Fenster des Tempels. Es ist eines der ältesten Gebäude Grönlands und seine Türen öffnen sich immer noch ein paar Meter von der Eisscholle in der Diskobucht entfernt.
Schritte auf dem Boden, ein paar Wasserspritzer, Worte, die von einem langen Amen unterbrochen werden, das zweisilbig A-men ausgesprochen wird, und wieder einmal erklingt die Orgel zum Gottesdienst.
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