Anders und doch ähnlich – Einzigartige Grönland-Ausstellung im ALPS-Museum

von Dr. Michael Wenger
10/24/2024

Das ALPS-Museum eröffnet ab Freitag eine neue, einzigartige Ausstellung über den massiven Wandel in Grönland und wie die Menschen dort damit umgehen.
Aus dem hochalpinen Bereich nach Grönland: Das ehemalige Alpine Museum der Schweiz, heute ALPS Museum, in Bern lässt Besucherinnen und Besucher die nächsten 22 Monate in eine Region eintauchen, die mit der Schweiz viele Ähnlichkeiten teilt und doch ganz anders ist: Grönland. (Foto: Georg Aerni via ALPS Museum)

Grönlands Gesellschaft erlebt zurzeit einen Wandel, der mit unglaublicher Wucht auf die grösste Insel der Welt und seine Bewohnerinnen und Bewohner trifft. Dabei beeinflusst er jeden Aspekt des Lebens und alle Schichten. Dasselbe gilt für die Schweiz, die daneben noch andere Ähnlichkeiten mit Grönland aufweist. Was liegt also näher, als dass eine Ausstellung den Einfluss des Wandels auf die grönländische Gesellschaft und die Insel abbildet. Doch gleich zwei Dinge überraschen: die Ausstellung wird im alpinen Museum der Schweiz gezeigt und es ist eine Ausstellung mit Grönland mittendrin, statt über Grönland.

Permafrost und Eismassen, der Eindruck einer scheinbar unberührten Natur, viel Folklore und eine vom Rest der Welt kaum verständliche Sprache auf der einen Seite. Schmelze, Steigende Tourismuszahlen, Grossraubtiere auf dem Vormarsch in landwirtschaftliche Gebiete, Naturkatastrophen, Unsicherheiten durch die geopolitische Lage auf der anderen Seite. Das sind die Ähnlichkeiten zwischen der Schweiz und Grönland, die einem einfallen, wenn man die beiden «Inseln» betrachtet (die Schweiz wird oft als Insel in Europa bezeichnet).

Ab Freitag wird eine weitere Gemeinsamkeit dazustossen: Die Ausstellung «Grönland –  Alles wird anders» des ALPS Museum (ex- Alpines Museum der Schweiz) wird für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Auf zwei Stockwerken verteilt wird gezeigt, wie der Wandel, den die grösste Insel der Welt zurzeit erfährt, praktisch alle Aspekte des Lebens und des Lebensraumes Grönland beeinflusst. Das Aussergewöhnliche dabei ist die Tatsache, dass das Museum nicht einfach Ausstellungsstücke dazu zeigt. Vielmehr werden Besuchende mit Kopfhörern ausgestattet und audiovisuell durch eine Vielzahl von Themenräumen geführt, in denen Menschen aus drei Ortschaften in Grönland zu Wort kommen und einen persönlichen tiefen Einblick in ihre Leben bieten, indem sie erklären, wie die verschiedenen Formen des Wandels auf sie einwirken.

Anlässlich einer Medienorientierung zeigen Beat Hächler (links) und Gian Suhner, wie sie das Thema umgesetzt haben und dabei einen völlig neuen und immersiven Weg gegangen sind. (Foto: Michael Wenger)

Nicht über Grönland, sondern mitten in Grönland

Verantwortlich für diese neue, für das ALPS-Museum revolutionäre Darstellung eines Themas jenseits des Hochgebirges sind Museumskurator und -direktor Beat Hächler und der Regisseur und Co-Kurator Gian Suhner. «Grönland hat in den letzten Jahren globale Bedeutung erhalten, genauso wie der Klimawandel», sagt Direktor Hächler in seiner Ansprache im Rahmen einer Medienorientierung im Museum. «Grönland ist dabei ein Weltlabor, das im Kleinen das Grosse in der Welt zeigt. Und Grönland ist auch ein Spiegel, der zeigt, was die Welt antreibt. Dies wollen wir in unserer Ausstellung thematisieren.» Egal ob es der Klimawandel, der mittlerweile alle Regionen und Ecken der Erde erfasst hat, der Hunger nach neuen und alten Ressourcen wie Seltenen Erden oder Fisch, der steigende Tourismus oder die Urbanisierung der Gesellschaft, alles findet sich in Grönland genauso wie in anderen Teilen der Welt.

Und doch ist Grönland ein Sonderfall, besonders in der arktischen Region. Denn Grönland ist eine Gesellschaft, in der die Ureinwohner die Mehrheit des Landes darstellen, nicht eine Minderheit. Und sie ist im Umbruch, will das Thema der Kolonialisierung durch Dänemark endlich aufarbeiten und hinter sich lassen, seinen eigenen Weg gehen. «Nichts über uns ohne uns» ist die Maxime, die sogar in das Strategiepapier der grönländischen Regierung Eingang gefunden hat. Und genauso verhält es sich mit der Ausstellung im ALPS. «Wir wollten keine Ausstellung über Grönland, sondern mit Grönland mittendrin,» erklärt Co-Kurator Gian Suhner.

Mittendrin statt nur dabei – Erleben mit allen Sinnen

Kernstück der Ausstellung sind die Videopräsentationen, die von Gian Suhner und seinem Filmteam gedreht und zusammengestellt worden sind. Dazu reiste das Team während zwei Jahren dreimal nach Grönland, genauer nach Nuuk, Ilulissat und Kullorsuaq im Nordwesten von Grönland. Während mehrere Wochen besuchten und unterhielten sie sich, teilweise mit Unterstützung von Dolmetschern, mit über 30 Personen in Grönland. Die Tatsache, dass es sich bei den Personen nicht nur um bekannte Persönlichkeiten wie Ministerin Naaja Hjelholt Nathanielsen oder die Influencerin Qupanuk Olsen, besser bekannt in Sozialen Medien als Q, handelt, macht die Ausstellung zu einer sehr persönlichen Erfahrung. Lehrpersonen, Fischer, Personen aus der Wissenschaft, Kultur und Kunstszene, junge und alte Menschen, sie alle bilden ein Panoptikum der grönländischen Gesellschaft und teilen ihre Gedanken zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Grönlands.

In verschiedenen Themenräumen, die von der Forschung bis zur Musik reichen und durch Seilvorhänge aus rezykliertem Meeresplastik abgetrennt sind, werden aber nicht nur die interviewten Personen gezeigt. Auf grossen Doppelleinwänden zeigt die Ausstellung Grönland, wie es wirklich ist und nicht nur wie man es sich vorstellt. Einspielungen von Langläuferinnen, die im Schatten eines Kraftwerks vorbeigleiten, Verkehrschaos in Nuuk, Arbeiter in Fischereifabriken und Rendervideos von geplanten Flughäfen werden ebenso gezeigt, wie Hundeschlittenfahrten über das Eis, Kajak fahren entlang der Küste, die Jagd auf Robben und Wale. Und natürlich ist auch ein Eisbär zu entdecken, der sich aber, wie in Grönland auch, nicht auf den ersten Blick zeigt.

Die Schnittfolgen der Einspielungen sind aber nicht rasant, sondern gemächlich, um den Betrachtern die Möglichkeit zu geben, tief in die visuelle Welt einzutauchen. Über die Kopfhörer wird die Ausstellung aber nicht nur ein visueller Trip nach Grönland, sondern auch ein auditorischer. Mittendrin statt nur dabei.

Doch nicht nurn Sehen und Hören, sondern auch Entdecken ist in einem Teil der Ausstellung angesagt: In mehreren Boxen stellt das ALPS Gegenstände vor, die mit den verschiedensten Aspekten des Wandels in Grönland in Verbindung stehen. Sie müssen jedoch erst entdeckt werden, ganz so, wie es zurzeit zahlreiche Forschungsgruppen in Grönland eben auch tun.

Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Kultur gelegt, besonders auf die Musik, denn «Musik ist eines der Dinge, die uns verbinden», meint Innunnguaq Petrussen, Gitarrist und Leadsänger der Band «Inuk». (Foto: Michael Wenger)

Besonders auf die Gehörgänge zielt der letzte Raum der Ausstellung ab. Denn hier können Besucherinnen und Besucher in das musikalische Grönland abtauchen. Innunnguaq Petrussen, Leadsänger und Gitarrist der grönländischen Band «Inuk» war für die Zusammenstellung der Playlists verantwortlich. «Ich wollte eine Übersicht über die Vielfalt der grönländischen Musikszene geben. Denn sie ist sehr unterschiedlich», sagt er dazu. Egal, ob Folk, Pop, Rock oder sogar Hiphop oder Metal, zu hören gibt es für jeden Geschmack etwas und zeigt eine kleine, aber sehr lebendige Musikszene. «In Nuuk bevorzugen wir eher Pop und Rock während es im Norden eher Rock und Metal sind», erklärt er uns im Gespräch. «Doch am Ende spielt es keine Rolle, denn Musik ist eines der Dinge, die uns verbinden.» Damit ist auch eine weitere Ähnlichkeit zur Schweiz gegeben. Interessierte können sich noch bis zum 16. August 2026 davon ein Bild machen.

Und wer mehr als nur die Ausstellung besuchen will, sollte die Events, die vom ALPS angeboten werden, ebenfalls beachten. Denn diese reichen von Gesprächsrunden im Museumsquartier über Filmabende im Kino Rex bis zur Bier- und Kulinarikdegustation. Doch keine Angst davor, denn auch dort sind wir uns ähnlicher als man denkt.

Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG

Ausstellung Grönland – Alles wird anders

ALPS Museum, Helvetiaplatz 4, CH-3005 Bern

25. Oktober 2024 – 16. August 2026

Öffnungszeiten: DI – SO 10 – 17

Eintritt: Regulär CHF 18 / Kinder (-12 J) gratis / Jugendliche (12 – 16 J) CHF 6 / Auszubildende & Studierende CHF 12 / IV CHF 12

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