Drei Organisationen haben einen wichtigen Schritt hin zu einem artgerechteren Leben für Wale und Delfine in Gefangenschaft getan: Sie entwickeln weltweit erste marine Reservate als Alternativen zur Haltung in Betonbecken.
Weltweit leben über 3.500 Wale, Delfine und Schweinswale in Gefangenschaft – meist in Betonbecken von Freizeitparks oder Aquarien. Seit vielen Jahren gibt es Kritik an dieser Form der Haltung und die gesundheitlichen und psychischen Schäden sind gut belegt: von Stresssymptomen über Verhaltensstörungen und Immunschwäche bis hin zu verkürzten Lebenserwartungen. Vor allem Tiere, die in engen, reizarmen Umgebungen ohne Rückzugsmöglichkeiten leben müssen, zeigen auffällige Verhaltensweisen wie Stereotypien oder Selbstverletzung.
Mittlerweile führen die Kritik und ein wachsendes Bewusstsein für die Bedürfnisse der Tiere dazu, dass Delfin- und Walshows zurückgefahren oder ganz abgeschafft werden. Doch was passiert mit den Tieren, die aufgrund von Beeinträchtigungen durch die Gefangenschaft – oder weil sie in Gefangenschaft geboren wurden und in Freiheit nicht überleben könnten – nicht ausgewildert werden können?
Zumindest einige dieser Meeressäuger könnten von einem noch recht neuen Ansatz profitieren: die Umsiedlung in gesicherte Reservate in ihrem natürlichen Lebensraum, dem Ozean. Solch ein Ocean Sanctuary könnte eine Meeresbucht sein mit Gezeiten, natürlichen Strukturen, deutlich mehr Platz, größerer Wassertiefe und, wenn möglich, mit Sicht- und Hörkontakt zu Wildtieren außerhalb des geschützten Bereichs.
Anders als die profitorientierten Parks, in denen die hochintelligenten Tiere derzeit zur Schau gestellt werden, sollen die neuen Reservate Orte des Respekts, der Forschung und des Lernens sein. Das Ziel ist, den Tieren eine möglichst artgerechte Umgebung zu bieten, in der sie «aufblühen» können. Um die Gefangenschaft nicht endlos fortzusetzen, soll in diesen geschützten Gebieten keine Zucht stattfinden.
In einem einzigartigen, internationalen Gemeinschaftsprojekt von drei Organisationen, die die Einrichtung und Umsetzung solcher Reservate vorantreiben, sind nun wissenschaftlich fundierte, professionelle Akkreditierungsrichtlinien sowie ein grundlegendes Dokument zur Definition und Umsetzung authentischer Wal- und Delfinreservate erarbeitet worden. Die Ergebnisse wurden am 20. Mai in PLOS Biology veröffentlicht.
Ziel der Initiative ist es, eine international anerkannte Alternative zur klassischen Gefangenschaftshaltung zu schaffen. Die neu erarbeiteten Standards, die von der Global Federation of Animal Sanctuaries (GFAS) angenommen wurden, bilden die Grundlage dafür. Sie definieren klare Mindestanforderungen: Das Wohlbefinden der Tiere soll konsequent über menschlichen Interessen stehen – kein Showbetrieb, keine Interaktionen mit Besucher:innen.
Wie solche Reservate konkret aussehen können, zeigen die drei an der Erarbeitung der Richtlinien beteiligten Organisationen in Kanada, den USA und Island.
Kanada: Whale Sanctuary Project
An der Atlantikküste Kanadas, in Port Hilford, Nova Scotia, entwickelt das Whale Sanctuary Project derzeit ein rund 40 Hektar großes Meeresgebiet als künftiges Zuhause für Orcas und Belugas. Die geschützte Bucht, die bis zu 18 Meter tief ist, bietet ausreichend Raum für die komplexen Bedürfnisse großer Zahnwale. Orcas und Belugas sollen dabei nicht gemeinsam, sondern räumlich klar getrennt untergebracht werden.
Seit Februar 2024 bemüht sich die Organisation die verbliebenen zwei Orcas Wikie und Keijo aus dem mittlerweile geschlossenen Vergnügungspark Marineland in Antibes, Frankreich, in eine eigens für die beiden Tiere eingerichtete vorläufige Bucht überführen zu dürfen – bislang ohne Erfolg.
Orcas (Orcinus orca), auch Schwertwale genannt, sind die größten Vertreter der Delfinfamilie. In freier Wildbahn legen sie täglich Hunderte Kilometer zurück, leben in stabilen Familienverbänden und nutzen komplexe Lautrepertoires zur Kommunikation. In Gefangenschaft hingegen zeigen viele von ihnen Anzeichen von Stress, Aggression oder Depression. Laut der Plattform cetabase.org leben derzeit weltweit 57 Orcas in Gefangenschaft.
Island: Beluga Whale Sanctuary
Seit 2019 betreibt der SEA LIFE TRUST das Beluga Whale Sanctuary in der Klettsvík-Bucht auf der Insel Heimaey im Süden Islands. Im Sommer 2020 wurden die beiden Belugawale Little Grey und Little White aus einem chinesischen Freizeitpark nach Island gebracht – zunächst in ein Pflegezentrum, dann ins Reservat mit rund 32.000 Quadratmeter Fläche. Dort erkunden sie ihre Umgebung, reagieren auf Umweltreize und zeigen natürliche Verhaltensweisen. Das Beluga Whale Sanctuary könnte acht weitere Tiere aufnehmen.
Belugas (Delphinapterus leucas) sind hochsoziale Zahnwale, die in arktischen und subarktischen Küstengewässern leben – vor allem in Kanada, Grönland und Russland. Sie verständigen sich über ein breites Spektrum an Lauten, leben oft in Mutter-Kind-Gruppen und gelten als neugierig und verspielt. In Gefangenschaft werden sie häufig in Becken gehalten, die ihren Bedürfnissen kaum gerecht werden. Derzeit befinden sich weltweit 133 Belugas in Gefangenschaft (ohne China).
USA: Dolphin Sanctuary
Auch das National Aquarium in Baltimore plant ein Sanctuary – jedoch speziell für Große Tümmler (Tursiops truncatus). Sechs Tiere, die bislang in einem Becken in Baltimore gehalten werden, sollen in das geplante Schutzgebiet umziehen. Der Standort steht noch nicht fest, wird jedoch wahrscheinlich in Florida oder der Karibik sein.
Perspektiven für die Zukunft
Alle drei Projekte stehen für ein neues Verständnis im Umgang mit Meeressäugern. Authentische Reservate bieten – zusätzlich zur tierärztlichen Versorgung, Sicherheit und Fütterung – eine naturnahe Umgebung mit Rückzugsorten, natürlichem Meerwasser und der Möglichkeit zur Interaktion mit anderen Arten wie Fischen oder Krebsen. Die Tiere sollen sich frei bewegen, soziale Kontakte selbst wählen und Alltagsentscheidungen wieder selbst treffen können – ein Maß an Autonomie, das in Betonbecken nicht möglich ist.
Die GFAS-zertifizierten Einrichtungen ermöglichen nicht-invasive Forschung und tiermedizinische Ausbildung unter Bedingungen, die den natürlichen Lebensräumen der Tiere näher kommen als jede klassische Anlage. Noch stehen die Reservate am Anfang – doch sie könnten den Grundstein legen für eine respektvollere Beziehung zu diesen hochintelligenten und sozialen Meeressäugern.