Chinas Arktis-Paradoxon: Warnungen inmitten der Ausweitung der Schifffahrt

von Dr. Michael Wenger
07/16/2025

Chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler appellieren eindringlich, den Schiffsverkehr in der Arktis zu begrenzen, um die Region vor Umweltauswirkungen zu schützen. Gleichzeitig planen chinesische Reedereien, immer mehr Schiffe in die Arktis zu schicken.

Mit dem fortschreitenden Rückgang des arktischen Meereises eröffnen sich neue Schifffahrtsrouten, die potenziell kürzere Transitzeiten und neue wirtschaftliche Möglichkeiten bieten. Angesichts der Prognosen, dass der Arktische Ozean bereits ab 2030 im Sommer eisfrei sein könnte, wird die Nordostpassage für den internationalen Handel immer mehr zur Realität.

Ein Symbol für Chinas wirtschaftliche Pläne: Die CSCL Arctic Ocean war das größte Containerschiff mit einer Länge von 400 m und einer Kapazität von bis zu 19.100 Containern. Heutzutage werden sogar noch etwas größere Schiffe für den Transport eingesetzt. Bild: Kees Torn via Wikicommons CC BY-SA 2.0

Viele Länder versuchen, davon zu profitieren, doch kein Land verfolgt dabei einen widersprüchlicheren Ansatz als China. Einerseits warnen chinesische Forschende eindringlich und fordern strenge Vorschriften, andererseits bauen chinesische Reedereien ihre Aktivitäten in der Arktis aggressiv aus. Dies führt zu einem krassen Widerspruch, der die Zukunft der empfindlichen Polarregion entscheidend prägen könnte.

Chinesischer Aufruf für mehr Vorschriften für die Arktis-Schifffahrt

In einem Brief, der in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde, hat eine Gruppe chinesischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen dringenden Appell zum Handeln formuliert.Sie betonen, dass Schiffe, die diese neuen Routen befahren, Ruß ausstoßen, der das Abschmelzen des Eises beschleunigt. Dadurch entsteht ein gefährlicher Teufelskreis: Weniger Eis ermöglicht mehr Schiffe, was wiederum zu noch weniger Eis führt. Die Forschenden argumentieren, dass die aktuellen internationalen Vorschriften, wie der Polarkodex und der Kohlenstoffintensitätsindex der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation, unzureichend sind, da sie keine verbindlichen Emissionsstandards vorsehen und die besondere Anfälligkeit der polaren Umwelt nicht berücksichtigen. Ihre Lösung ist eine umfassende, rechtsverbindliche Arktis-Schifffahrtskonvention, die auf der bevorstehenden Klimakonferenz COP30 verabschiedet werden soll. Diese würde klare Umweltstandards festlegen, umweltfreundliche Schiffstechnologien vorschreiben und eine transnationale Verwaltungsbehörde zur Verwaltung der Routen einrichten.

Doch während Chinas Wissenschaft zur Vorsicht mahnt, preschen seine Wirtschaftsunternehmen vorwärts. Die chinesische Reederei Yangpu Newnew Shipping Co., Ltd. hat die Genehmigung erhalten, in diesem Sommer mehrere Containerschiffe durch die Nordostpassage zu schicken. Das Besondere dabei: Einige Schiffe wie die 4.363 TEU NewNew Panda 1 (Anmerkung der Redaktion: 1TEU = 1 20-Fuß-Container-Äquivalent) besitzen keine Eisklassifizierung, ein Beweis dafür, wie zugänglich die Route in den Sommermonaten betrachtet werden. Das Unternehmen, das seine „Arctic Express Route“ im Jahr 2023 eröffnet hat, plant eine erhebliche Expansion. Dazu gehört die Bestellung von fünf neuen Containerschiffen der Eisklasse Arc7, die den größten Teil des Jahres mit Unterstützung von Eisbrechern in der Arktis operieren können.

Die mögliche Zukunft der arktischen Schifffahrt, wie sie sich der Autor vorstellt und mit Hilfe eines KI-Bildgenerators visualisiert hat. Bild: Michael Wenger mit Google AI

Chinas Arktis-Paradoxon

Hierin liegt das Paradoxon. Der Vorstoß für die Schifffahrt in der Arktis wird von einer klaren wirtschaftlichen Logik angetrieben. So kann eine Reise von der russischen Halbinsel Jamal über die Arktis nach China in weniger als 20 Tagen zurückgelegt werden – das ist etwa halb so lange wie die traditionelle Route durch den Suezkanal. China ist bereits ein wichtiger Abnehmer von russischem Flüssigerdgas, das über diese Route transportiert wird. Allein im Jahr 2024 wurden 35 Lieferungen aus dem Jamal-LNG-Projekt empfangen. Der Wunsch nach einer schnelleren und günstigeren Handelsroute steht jedoch im Widerspruch zu den Umweltwarnungen der eigenen Experten. Der Ausbau der Schifffahrt trägt nämlich nicht nur zum Abschmelzen des Eises bei, sondern fördert auch die Ausbeutung der Ressourcen in der Arktis. Dadurch könnten beim Auftauen des Permafrostbodens große Mengen Methan freigesetzt werden.

Die gegensätzlichen Ansätze der Wissenschaft und Wirtschaft in China verdeutlichen eine große Herausforderung. Der Wunsch nach einer effizienteren und wirtschaftlicheren Schifffahrtsroute ist ein starker Motor für die wirtschaftliche Expansion in der Arktis. Dies steht in direktem Widerspruch zu den wissenschaftlich begründeten Forderungen nach strengeren Vorschriften zum Schutz eines empfindlichen Ökosystems. Wie China diese konkurrierenden Interessen in Einklang bringt, wird für die künftige Regulierung und die Umweltgesundheit der Arktisregion von großer Bedeutung sein.

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