Dani Arnold gelingt die erste Winterbesteigung der Tarantellen auf Spitzbergen

von Marcel Schütz
11/24/2025

Tarantellen auf Spitzbergen – Bild: Marcel Schütz

Ein medizinischer Notfall, ein spontaner Planwechsel und eine markante Steinformation in einem der abgelegensten Winkel der Arktis: Der Schweizer Extrembergsteiger Dani Arnold schreibt mit einer außergewöhnlichen Winterbesteigung ein neues Kapitel seiner Abenteuerkarriere.

Als der kanadische lokale Guide, der Arnold für eine Kletter-Expedition in Nordamerika logistisch unterstützen sollte, aufgrund eines akuten medizinischen Notfalls ausfiel, schien ein lang geplantes Projekt in letzter Minute zu scheitern. Ursprünglich stand die Besteigung einer abgelegenen Felsformation in Kanada auf dem Programm – ein typisches Vorhaben für Arnold, der weltweit für seine schnellen, mutigen und technisch anspruchsvollen Solobegehungen bekannt ist. Doch die Arktis zeigt sich selten kompromissbereit – diesmal sogar schon, bevor die Reise überhaupt begonnen hatte.


Ein neuer Plan aus dem hohen Norden

Über den Abenteurer Thomas Ulrich, mit dem Arnold seit vielen Jahren befreundet ist, hörte er erstmals von einer markanten Gesteinsformation auf Spitzbergen: den Tarantellen. Eine geologisch spannende, wild aufragende Steinformation nördlich der ehemaligen russischen Bergbausiedlung Pyramiden. Ulrichs Erzählungen weckten sofort Arnolds Interesse. Die Formation ist zwar dokumentiert und wird im Winter wie im Sommer gelegentlich von Einheimischen bei Schneescootertouren besucht, doch bleibt sie weitgehend unberührt.

Kurzentschlossen wandte sich Arnold an den auf Spitzbergen tätigen lokalen Guide, den Schweizer Marcel Schütz, der über langjährige Expeditionserfahrung in der Arktis verfügt. Gemeinsam entwickelten sie innerhalb weniger Tage einen neuen Plan und holten die nötigen Genehmigungen ein:
Der Expedition zu den Tarantellen stand nichts mehr im Wege.


Ein Tag zwischen Tälern und Gletschern

Nach intensiver Vorbereitung im Hauptort Longyearbyen machte sich Arnold mit seinem fünfköpfigen Team auf den Weg Richtung Norden. Ein ganzer Tag führte sie auf Schneemobilen durch weite Täler, über gefrorene Ebenen und die zerklüfteten Zungen mehrerer Gletscher. Der Wind trieb Schnee durch die Luft, die Landschaft war monochrom weiß – die Expedition hoffte auf besseres Wetter.

Schneescooter-Safari zu den Tarantellen auf Spitzbergen – Bild: Marcel Schütz

Schließlich erreichten sie den Lomonosovfonna, und das Wetter schlug um. Plötzlich herrschte klare Sicht, und die Bergwelt Spitzbergens zeigte sich in ihrer ganzen Weite. Immer wieder hielten sie an, um die weißen Ebenen zu genießen. Dann, weit entfernt, erschien erstmals das charakteristische Profil der Tarantellen. Es war jedoch noch ein weiter Weg bis zum McWhaebreen, wo sie entweder ein Camp errichten oder – wenn die Schneeakkumulation ausreichte – eine Schneehöhle bauen wollten.

Kurz vor dem Ziel wurde es nochmals spannend: Seitlich taten sich große Gletscherspalten auf, und nur langsam kamen sie voran, bis sie eine geschützte, sichere Stelle direkt am Hang erreichten, der zur Tarantellen-Formation führt.

Anstatt Zelte aufzubauen, entschieden sie sich für den Bau einer Schneehöhle. Innerhalb von rund drei Stunden entstand eine gut verstärkte, ausreichend tiefe Unterkunft, die dem dauerhaften, leicht wehenden Wind standhielt. Arnold erkundete währenddessen bereits die Umgebung. Nach Arnolds Rückkehr war klar: Er wollte es versuchen – doch zuerst mussten alle Kräfte geschont werden.

Schneehöhle vor den Tarantellen auf Spitzbergen – Bild: Marcel Schütz

Nach einem kurzen Abendessen ging es früh schlafen. Die Teammitglieder Schütz, Escher, Monsorno und Kusstatscher wechselten sich in der Eisbärenwache ab. Die Kälte drang tief in die Ausrüstung, ständige Bewegung war nötig. Zum Zeitvertreib und zur Wärmeerhaltung bauten sie am Eingang weiter und genossen gleichzeitig die atemberaubende arktische Landschaft. Die Nacht war eisig – eine fast unwirkliche Erfahrung bei rund minus 30 Grad.

Schneehöhle auf Spitzbergen von innen – Bild: Marcel Schütz

Die Besteigung: Ein Kampf gegen Kälte und brüchigen Fels

Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, machten sich Arnold und sein Team auf den Weg zu den Tarantellen. Die steile Formation ragte wie eine gefrorene Monolithskulptur majestätisch aus der Landschaft. Am Fuß angekommen war klar: Diese Besteigung würde technisches Können und präzise Entscheidungen erfordern. Das Gestein bestand überwiegend aus Schiefer – brüchig, sensibel – und bot nur wenig Eis für sichere Platzierungen. Arnold entschied sich selbst abzusichern im Vorstieg. eine falsche Bewegung ungesichert, hätte dramatische Folgen gehabt.

Dani Arnold besteigt den Tarantellen auf Spitzbergen – Bild: Marcel Schütz

Er studierte die Wand sorgfältig, prüfte Linien und suchte logische Passagen in einer Struktur, die alles andere als logisch wirkte. Schließlich legte er seine Route fest – und begann zu klettern.

Es waren intensive, fordernde Stunden. Eiskalter Wind schnitt durch die Kleidung, Finger und Zehen schmerzten. Doch Arnold blieb konzentriert, präzise, entschlossen. Nach rund vier Stunden stand er am 25.03.2024 genau um 11:17 Uhr auf dem Gipfel der Tarantellen – der erste Mensch überhaupt, der diese Formation im Winter bestiegen hatte.

Dani Arnold auf den Tarantellen in Spitzbergen – Winter-Erstbesteigung am 25.03.2024, 11:17 Uhr. Foto: Marcel Schütz

Die Emotionen seien „überwältigend“ gewesen, erzählte er später – nicht nur wegen des Erfolgs, sondern auch wegen der Aussicht und der arktischen Stille, die ihn dort oben empfing. Eindrücke, wie man sie nur an den entlegensten Orten der Welt findet.


Rückkehr ins Camp und ein letztes Abenteuer

Der Abstieg verlief schnell, und das Team kehrte zur Schneehöhle zurück. Nachdem sie alles gepackt hatten, begann die lange Rückfahrt über rund hundert Kilometer Gletscher und Täler zurück nach Longyearbyen.

Doch das Abenteuer war damit noch nicht vorbei: Am folgenden Tag brach Arnold mit seinem Team zur Ostküste Spitzbergens auf. Dort bestieg er die Front eines mächtigen Gletschers sowie – in einer seltenen Gelegenheit – einen im Packeis festsitzenden Eisberg in einer gefrorenen Bucht. Diese Besteigungen waren Teil von Film- und Sponsoringaufnahmen, die das Projekt überhaupt erst ermöglichten und zu einem großen Erfolg machten.

Dani Arnold klettert auf einem Eisberg an der Ostküste Spitzbergens

Ein Kapitel arktischer Bergsteigergeschichte

Mit der winterlichen Erstbesteigung der Tarantellen hat Dani Arnold erneut gezeigt, dass echte Abenteuer oft Improvisation und spontane Entscheidungen erfordern – und dass das Außergewöhnliche dort beginnt, wo eigentlich alles anders kommen sollte.

Aus einer abgesagten Expedition wurde eine spektakuläre Arktisreise; aus einer spontanen Idee ein Meilenstein im Winterklettern.

„Man sollte die Hoffnung nie aufgeben und weitermachen.“ – Dani Arnold

Marcel Schütz, PolarJournal