Ignorierte Shackleton das Risiko für sein Schiff?

von Heiner Kubny
11/06/2025

Die Endurance war dem Druck durch das Eis nicht gewachsen und sank.

Als der Polarforscher Ernest Shackleton am 27. Oktober 1915 in sein Tagebuch schrieb: „Sie war dem Untergang geweiht, kein von Menschenhand gebautes Schiff hätte der Belastung standhalten können.“, waren seine Träume, die Antarktis zu erreichen bereits geplatzt. Die HMS «Endurance» steckte seit Januar im Weddellmeer fest. Ende Oktober hatte das Eis das Ruder abgerissen, den Kiel zerfetzt, die Decksbalken im Maschinenraum zerbrochen und Löcher in die Seitenwände des Bootes geschlagen.

Der 3D-Scan der HMS Endurance. (Bild: Falklands Heritage Maritime Trust)

Die gescheiterte Antarktis-Expedition des Polarforschers Ernest Shackleton gilt als eines der grössten Abenteuer des 20. Jahrhunderts. Shackleton wollte als erster Mensch die Antarktis durchqueren. Die «Endurance» hätte Shackleton und seine Crew an die Eiskante der Antarktis führen sollen, wurde aber überraschend früh im Weddellmeer vom Packeis eingeschlossen.

Dass es alle 28 Besatzungsmitglieder dennoch unter widrigsten Bedingungen nach Elephant Island schafften und dort im August 1916 gerettet wurden, wird nicht zuletzt dem Mut und der Entschlossenheit Shackletons zugeschrieben.

Mittschiffsquerschnitt der «Endurance» (Framnæs Mekaniske Værksted, 1911). (Reproduktion Vestfoldmuseene).

Nahm Shackleton das Risiko in Kauf?

„Die «Endurance» verlor zwar ihr Ruder, aber deshalb ist das Schiff nicht gesunken“, schreibt der Ingenieur Jukka Tuhkuri im Fachjournal «Polar Research». „Die «Endurance» wäre auch dann gesunken, wenn sie kein Ruder gehabt hätte.“ Stattdessen habe der enorme Druck durch das Packeis auf den Rumpf den Kiel aufgerissen.

Der Grund dafür: Die «Endurance» sei von ihrer Bauweise her gar nicht darauf ausgelegt gewesen, solchen Eismassen standzuhalten. Und die für Shackleton-Verehrer wohl ernüchterndste Behauptung: Shackleton wusste das und nahm diese Gefahr für sich und seine Besatzung in Kauf.

Tuhkuri belegt seine Behauptungen einerseits anhand der Baupläne der «Endurance» und an Beispielen etlicher anderer Schiffe, darunter durchaus prominent die Bark «Deutschland», das Schiff der Zweiten Deutschen Antarktisexpedition 1911/1912. Zudem stützt sich der Autor auf Tagebuch-Einträge und Briefe Shackletons.

Mittschiffsquerschnitt der «Deutschland» nach Modifikationen, die von Shackleton vorgeschlagen wurden. (Grafik: Erskine Press)

„Shackleton wusste davon. Vor seiner Abreise beklagte er in einem Brief an seine Frau die Schwächen des Schiffes und sagte, er würde die «Endurance» jederzeit gegen sein vorheriges Schiff eintauschen. Tatsächlich hatte er bei einem Besuch einer norwegischen Werft Diagonalträger für ein anderes Polarschiff empfohlen. Dasselbe Schiff steckte monatelang im Druckeis fest und überlebte“, sagt Tuhkuri. 

Heiner Kubny, PolarJournal