Untersuchung unerforschter Ozeanströmungen im Norden Grönlands

von Heiner Kubny
11/20/2025

Der Forschungseisbrecher «Polarstern» auf der Expedition nach Nordgrönland. (Foto: AWI, Marcel Nicolaus)

Die wenig erforschte Region im Norden Grönlands war das letzte Untersuchungsgebiet, das die «Polarstern» auf drei Arktis-Expeditionen seit Ende Mai 2025 erforscht hat. In diesem weitgehend unbefahrenen Seegebiet konnte ein Forschungsteam unter Leitung des physikalischen Ozeanographen Torsten Kanzow vom Alfred-Wegener-Institut einmalige Daten zur Ozeanzirkulation nördlich und nordöstlich von Grönland sammeln. Ausserdem wurde dort eine Kette von sechs Verankerungen angebracht, die ein ganzes Jahr autonome Messungen durchführen sollen.

Die «Polarstern» liegt an der Eiskante, damit die Forscher ihre Arbeit auf dem Eis ausführen können. (Foto: AWI, Marcel Nicolaus)

„Es fehlt uns grundlegendes Verständnis der Schliessung der arktisweiten Zirkulation nördlich und nordöstlich von Grönland, wo das warme Wasser das Schmelzen grosser Gletscher antreibt. Es war beispielsweise bisher nicht bekannt, ob es nördlich von Grönland einen Randstrom gibt und in welche Richtung er fliesst“, erklärt Prof. Dr. Torsten Kanzow, warum die Region von besonderem Interesse ist. Der Leiter der Physikalischen Ozeanographie am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ergänzt: „Bislang gab es in dieser ganzjährig vom Meereis bedeckten Region noch keine strukturierte, ozeanographische Aufnahme der Strömungsverhältnisse sowie des Ökosystems. Wir haben also mit dieser Expedition Neuland betreten, und hoffen, mit den Analysen wichtige Wissenslücken schließen zu können.“ 

Gelegentlich erleichtert offenes Wasser die Fahrt nach Norden. (Foto: AWI, Marcel Nicolaus)

Die Messungen der 50 wissenschaftlichen Teilnehmer der Expedition zielten darauf ab, die Zirkulation von arktischem Atlantikwasser und polarem Oberflächenwasser auf dem Schelf und am Kontinentalabhang nördlich von Grönland zu vermessen. Ausserdem wollte das Team deren Verbindung zum weiter südlich gelegenen Ostgrönlandstrom bestimmen. Gleichzeitig wurde die Verbindung der Strömungs- und Schichtungsverhältnisse zu den marinen Ökosystemen untersucht, indem Verteilungen und Zusammenhänge von Nährstoffen, Algen und Zooplankton beprobt wurden. Ein anderer, wichtiger Aspekt des Messprogramms war es herauszufinden, wie die ozeanisch getriebene Schmelze der sich zurückziehenden Gletscher von Atlantikwasser beeinflusst wird und wie das Gletscherschmelzwasser die Küstenzirkulation und den Export von Kohlenstoff zum offenen Ozean hin beeinflusst.

Das Foschungsschiff «Polarstern» in den Weiten des arktischen Polarmeeres. (Foto: AWI, Marcel Nicolaus)

„Unsere Messprogramme waren äusserst erfolgreich. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass entlang der Schelfkante nördlich und nordöstlich von Grönland ein Strömungsband in Tiefen von wenigen Hundert Metern existiert, dass das warme atlantische Wasser aus dem Arktischen Ozean nach Süden hinausbefördert“, berichtet der wissenschaftliche Fahrtleiter der Expedition. Dabei gab es erste Hinweise, dass dieses Wasser im arktischen Ozean unterschiedliche Pfade zurückgelegt hat, bevor es die nordgrönländische Küste erreichte.

Sonnenuntergang im Norden von Grönland. (Foto: AWI, Marcel Nicolaus)

Torsten Kanzow erläutert weiter: „Im Bereich der Meeresströmungen an der Meeresoberfläche, die kalte und recht süsse polare Wassermassen transportieren, war das Bild komplexer: Im südlichen Teil des Messgebietes fanden wir ausgeprägte, und wie erwartet nach Süden (also in Richtung der Fram Strasse) gerichtete Strömungen. Im nördlichen Teil hingegen fanden sich jedoch spannenderweise Strömungen in der entgegengesetzten Richtung (also in Richtung der Nares Strsse zwischen Grönland und dem kanadischen Archipel). Nachfolgende Analysen werden Auskunft darüber geben, was die Ursache dieser Strömung ist, und ob sie ein Teil eines Strömungsbandes darstellt, das die polaren Wassermassen westlich von Grönland aus dem Arktischen Ozean hinausbefördert. Diese ersten Erkenntnisse haben uns dabei unterstützt, verankerte Dauermessungen auszubringen, die wir hoffentlich im nächsten Sommer bergen werden und die uns dann ermöglichen, einzuschätzen, ob die ersten Erkenntnisse von dieser Reise auch über ein ganzes Jahr hinweg zutreffen.“

Mitteilung des AWI Bremerhaven