Lange Zeit galt die Arktis als Region mit geringen Spannungen und guter wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Diese Sichtweise bröckelt jedoch rapide, vor allem aufgrund der Unsicherheiten durch Russland und eines deutlichen Kurswechsels der aktuellen US-Regierung. Der erneute und offensive strategische Fokus der USA auf die Übernahme Grönlands sowie ihre Rhetorik, die den etablierten Rahmen der transatlantischen Sicherheit und die Verpflichtungen der NATO infrage stellt, schaffen eine völlig neue geopolitische Realität im hohen Norden.
Diese sich wandelnde Haltung der USA vor dem Hintergrund des Klimawandels, der strategisch wichtige Wasserwege und den Zugang zu Ressourcen eröffnet, stellt die wichtigsten Akteure in der Arktis, insbesondere Dänemark, Grönland und Island, vor beispiellose Herausforderungen und erfordert eine dringende Neubewertung ihrer Sicherheitslage und ihrer internationalen Beziehungen.
Dänemark und Grönland: Stärkere Partnerschaft durch ungewollte Vorstöße, vielleicht Souveränität
Grönland befindet sich geographisch und politisch im Zentrum dieser Veränderungen. Die erneuten Interessensbekundungen der US-Regierung bezüglich der Übernahme Grönlands, die an ähnliche Erklärungen aus den vergangenen Jahren anknüpfen, wurden sowohl von Nuuk als auch von Kopenhagen entschieden zurückgewiesen. Grönlands Premierminister Jens-Frederik Nielsen betonte als Reaktion auf die US-Rhetorik während seines Besuchs in Dänemark Ende April 2025 die Notwendigkeit von Respekt. Er erklärte, dass die jüngsten Äußerungen der USA „respektlos“ gewesen seien und betonte, dass Grönland bereit sei, mit „allen Ländern zusammenzuarbeiten, die uns gut behandeln, uns respektieren und Partnerschaften aufbauen wollen, die auf gegenseitigem Respekt beruhen“. Nielsen strebt zwar die volle Souveränität an, bekräftigte aber auch die Bedeutung der Partnerschaft mit Dänemark in der gegenwärtigen Situation.
STM Mette Frederiksen har netop taget imod Jens-Frederik Nielsen på Marienborg. Det er første gang, han er i Danmark som formand for Naalakkersuisut. Besøget sker i forlængelse af statsministerens seneste besøg i Grønland 🇬🇱🇩🇰 pic.twitter.com/iEAtkGDyzx
– Statsministeriet (@Statsmin) April 27, 2025
Während Dänemark verfassungsrechtlich die Verantwortung für die Außen- und Verteidigungspolitik Grönlands wahrnimmt, führt die verstärkte Konzentration auf die Arktis, einschließlich spitzer Bemerkungen der USA zu den Verteidigungsinvestitionen Dänemarks in der Region, zu einem intensiveren Dialog. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat diese Herausforderung anerkannt und darauf hingewiesen, dass „die außen- und sicherheitspolitische Lage, die geopolitischen Verhältnisse und die Frage, wie wir diese sehr, sehr schwierige Aufgabe gemeinsam angehen können, diskutiert werden müssen“. Darüber hinaus signalisierte Frederiksen bei einem Besuch in Nuuk Anfang April 2025 ihre Bereitschaft zu „konkreteren Verhandlungen“, die möglicherweise Bereiche wie „Gesetze zur Selbstverwaltung“ bis hin zu verstärkten Investitionen oder einer engeren Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich umfassen könnten, was auf eine mögliche Weiterentwicklung des Rahmens für die Beziehungen hindeutet. Trotz dieser Komplexität scheint das Interesse der USA, das in der strategisch wichtigen Lage Grönlands für die Überwachung des Nordatlantiks (einschließlich der Pituffik-Weltraumstation) und seinen potenziellen Bodenschätzen begründet liegt, unbeabsichtigt die Beziehungen zwischen Grönland und Dänemark zu stärken, die auf dem Grundsatz „Nichts über Grönland ohne Grönland“ beruhen.
Island bewertet die Verteidigung im hohen Norden neu
Island, ein Gründungsmitglied der NATO, das als einziges Land über keine eigene Armee verfügt, befindet sich ebenfalls in einer Phase der Selbstreflexion hinsichtlich seiner Sicherheit. Traditionell stützt sich Island auf seine NATO-Mitgliedschaft und ein bilaterales Verteidigungsabkommen mit den Vereinigten Staaten, das historisch gesehen den Luftwaffenstützpunkt Keflavik umfasste. Dieser war während des Kalten Krieges von entscheidender Bedeutung und spielt auch heute noch für die Überwachung der Aktivitäten in der Region eine wichtige Rolle. Nun diskutieren die Isländerinnen und Isländer über einen möglichen Kurswechsel.
„Es hat in Island nie eine öffentliche Unterstützung für ein Militär gegeben, und ich glaube nicht, dass es das in absehbarer Zukunft geben wird. Das heißt aber nicht, dass wir keine aktive Verteidigung oder aktive Bündnisse haben können.“
Kristrún Frostadóttir, Ministerpräsidentin von Island
Derzeit werden Diskussionen über die Stärkung der nationalen Verteidigungskapazitäten und sogar über die Wiederaufnahme der 2013 ausgesetzten Verhandlungen über einen EU-Beitritt geführt. Die Regierung von Premierministerin Kristrún Frostadóttir plant eine Überprüfung der nationalen Verteidigungsstrategie und strebt bis 2027 ein Referendum über EU-Verhandlungen an. Frostadóttir räumte zwar ein, dass die Bevölkerung seit jeher wenig Interesse an einer eigenen Armee habe, erklärte jedoch: „Es gab in Island nie eine öffentliche Unterstützung für eine Armee, und ich glaube auch nicht, dass sich daran in absehbarer Zukunft etwas ändern wird. Das bedeutet aber nicht, dass wir keine aktive Verteidigung oder aktive Bündnisse haben können.“ Diese interne Debatte spiegelt den allgemeinen regionalen Trend wider, den der ehemalige Premierminister Bjarni Benediktsson beobachtet hat: „Ob es uns gefällt oder nicht, die Arktis entwickelt sich rasch zu einem Schauplatz globaler Konkurrenz und Militarisierung.“ Für Island bleiben die NATO und das Abkommen mit den USA, das „eine verstärkte Unterstützung der NATO und der im Nordatlantik operierenden Verbündeten durch den Gaststaat“ vorsieht, die wichtigsten Säulen.
Navigieren in unruhigen Gewässern
Die strategisch wichtigen Gewässer zwischen Grönland, Island und Großbritannien (die GIUK-Lücke) bleiben ein kritischer Engpass für die Überwachung der maritimen Aktivitäten in der Arktis. Angesichts der zunehmenden Konkurrenz zwischen den Großmächten und der sich verändernden physischen Umwelt stehen Dänemark, Grönland und Island vor komplexen Herausforderungen. Sie müssen nationale Bestrebungen und einzigartige historische Kontexte mit dem Druck der regionalen Militarisierung und den strategischen Plänen größerer Mächte in Einklang bringen. Der Weg in die Zukunft erfordert umsichtige Diplomatie, verstärkte regionale Partnerschaften und eine klare Einschätzung der sich rasch verändernden Sicherheitslage in der Arktis.