Der polare Rückblick greift Geschehnisse der vergangenen Woche auf, die mit Arktis und Antarktis zusammenhängen und stellt einen oder mehrere Aspekte ins Zentrum der Betrachtung. Dieses Mal richtet sich der Blick auf die zahlreichen Meldungen von Verschmutzungen in arktischen Regionen, die viele Fragen rund um Umweltsicherheit aufwerfen.
Kontinuierlicher Zyanid-Austritt von einer Goldmine im kanadischen Yukon-Gebiet, Diesellecks mit tausenden von Litern ausgetretenem Treibstoff in verschiedenen Gemeinden Nunavuts, leckende Pipelines in Alaska, viel mehr Mikroplastik in weiten Teilen der Barentssee als bisher angenommen: Die Meldungen über Umweltverschmutzungen in der Arktis rissen letzte Woche und die Wochen davor nicht ab und zeichneten ein düsteres Bild über den Umweltzustand des hohen Nordens.
Lecks durch beschädigte Infrastruktur
Rankin Inlet, Mittimatalik, Sanikiluaq. Diese drei Gemeinden haben nicht nur die Tatsache, dass sie in Nunavut im arktischen Teil Kanadas liegen, gemeinsam. Sie waren auch die Schauplätze von Dieselaustritten in den letzten Wochen. Mehr als 25’000 Liter Treibstoff traten bei insgesamt vier Ereignissen aus und verschmutzten Küstenabschnitte und Böden in den Gemeinden. In Sanikiluaq mussten nach Medienangaben nach dem Austritt knapp ein Drittel der rund 3’000 Einwohnerinnen und Einwohner ihre Häuser verlassen und konnten erst Stunden später wieder zurückkehren. Die Behörden hatten vorsorglich die Evakuation organisiert, da der Diesel aus den Treibstofftanks des Ortes ausgetreten war. In Mittimatalik, dem früheren Pond Inlet, floss der Treibstoff nach dem Bruch einer Pipeline in den Arktischen Ozean aus und bedroht den in der Nähe liegenden Nationalpark, was eine Untersuchung der kanadischen Bundesbehörde für Umwelt und Klimawandel auslöste. Und in Rankin Inlet mussten die Behörden gleich zweimal Alarm innert vier Wochen Alarm auslösen und verzeichneten rund 12’000 Liter ausgetretenen Diesel.
In drei der vier Fälle waren «technisches bzw. mechanisches» Versagen die Gründe für die Verschmutzung, einmal «menschliches» Versagen. Geborstene Tanks und Pipelines stehen dabei im Vordergrund, wie meistens in solchen Fällen. Man denke an die Umweltkatastrophe von Norilsk vor vier Jahren, als über 21’000 Tonnen Diesel aus einem geborstenen Tank der Firma Nornickel ausgetreten waren und kilometerweit das Gebiet verschmutzten.
Ein anderes Leck, das nicht durch eine geborstene Infrastruktur entstanden ist, aber gravierende Umweltschäden hinterlässt, ist das Einsickern von Schwermetall-verseuchtem Wasser aus der Eagle Mine der Gesellschaft Victoria Gold im subarktischen Yukon-Gebiet. Die Umweltbehörden fanden dadurch massiv erhöhte Werte von Schwermetallen in den umliegenden Flüssen und in Fischen, einer wichtigen Nahrungsquelle für die dort lebenden Bewohner. Auch höhere Werte von Zyanid, welches für den Goldabbau verwendet wird, wurden festgestellt. Die Gründe für den Austritt sind nach Angaben eines Berichts Mängel beim Bau von Auffangbecken von verseuchtem Wasser. Expertinnen und Experten befürchten, dass die Fischpopulation auf lange Zeit geschädigt und für den Verzehr ungeeignet sein wird. Da die Fische wie Forellen und Lachse auch von anderen Tieren gejagt und verzehrt werden, sind auch dort Schäden zu erwarten.
Leck an einem Ort, Auswirkungen an anderen Orten und Zeiten
Genau dort liegt eines der grossen Probleme solcher Verschmutzungen: Sie bleiben nicht auf einen Zeitpunkt und eine Stelle beschränkt. Die Verschmutzungen sind weiträumig und befallen Böden und Wasserkörper, bleiben auf Steinen und Pflanzen haften und wirken auch noch Jahre und Jahrzehnte in sogenannten «Low Dose Chronic Exposures» (Chronische Niedrigdosis-Belastung). Diese Belastungen reichern sich in den Nahrungsketten über lange Zeit an und wirken auf den verschiedensten Ebenen. Sie beeinflussen die Genetik, die Gesundheitszustände und sogar ganze Populationen von Organismen. Dies wirkt sich nicht nur auf direkt von der Verschmutzung betroffene Pflanzen und Tiere, sondern auch auf andere Arten. Am Ende stehen Topräuber wie Eisbär und Mensch, in denen sich Verschmutzungen und deren Produkte stark ansammeln. Das kann einerseits zu Gesundheitsschädigungen führen, aber auch zu grösseren sozialen Problemen. Denn sollten die Behörden Verzehrwarnungen oder -verbote aussprechen, müssen andere Lösungen her wie beispielsweise die teure Versorgung mit Wasser und Nahrungsmittel aus anderen Gebieten, was eine grosse finanzielle Belastung für Individuen und Gemeinden darstellt.
Infrastruktur und Klimawandel
Da stellt sich die Frage, warum solche Mängel nicht früher entdeckt werden, denn Tanks und Pipelines in den Orten sind wichtige Infrastrukturen in den Gemeinden, da immer noch die Gemeinden von Diesel zur Elektrizitäts- und Wärmeproduktion abhängig sind und auch für das Transportwesen notwendig ist. Fehlt es an Wissen, an Personal oder an Geld für mehr Kontrollen und neue Infrastruktur? Tatsache ist, dass solche Infrastrukturen massiven physikalischen Umweltbedingungen ausgesetzt sind, die sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch die Klimaveränderungen noch verschärft haben. Expertenteams weisen schon seit langer Zeit darauf hin, dass auftauende Permafrostböden, grössere Temperaturschwankungen und extremere Wetterereignisse die Infrastruktur schneller abnutzen und die Gefahr von Verschmutzungen erhöhen. Doch auf die Infrastruktur verzichten ist, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Lösung. Denn die Abhängigkeit von Treibstoff ist immer noch sehr gross und bis neue Technologien für nachhaltigere Energieproduktion in die arktischen Regionen entwickelt und umgesetzt worden sind, wird es noch eine Weile dauern.
Doch der Wille steigt langsam an, Gebiete, sogar rohstoffreiche, werden verstärkt unter Schutz gestellt, Gelder für bessere Überwachung und Sanierungen der Infrastrukturen bereitgestellt. Projekte, die neue Technologien für Energieproduktion, -transport und -speicherung entwickeln, erhalten grössere Aufmerksamkeit und auch Förderungen sowohl von privaten wie auch von staatlichen Zuschüssen. Denn es ist klar: die Bevölkerung und auch die politischen Entscheidungsträger in der Arktis wollen keine Lecks in ihrer Infrastruktur, keine Schadstoffe in ihrem Wasser und ihrer Nahrung.
Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG