Jedes Jahr wächst in der Arktis die Fläche, die durch Öl- und Gasproduktion sowie Bergbau beeinträchtigt wird, wie eine neue Studie der Universität Zürich zeigt. Neben nächtlicher Lichtverschmutzung führen die industriellen Aktivitäten zu zahlreichen weiteren Problemen für Natur und Umwelt.
Öl, Gas, Nickel, Palladium, Platin, Kupfer, Zink und einige mehr — Ressourcen, nach denen die Welt verlangt. Sie alle werden mit großem Energieeinsatz und wenig Rücksicht auf die Umwelt auch in der Arktis gefördert — der Region, die sich im Vergleich zum globalen Durchschnitt in den letzten Jahrzehnten viermal schneller erwärmt hat.
Eine neue Studie unter der Leitung von Professorin Gabriela Schaepman-Strub vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltstudien der Universität Zürich zeigt jetzt, wie schnell die industrielle Entwicklung in der Arktis und damit die Zerstörung von Lebensräumen voranschreitet. Die Ergebnisse wurden am 21. Oktober in Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.
Das internationale Forschungsteam analysierte in der Nacht aufgenommene Satellitenbilder, um anhand von künstlichem Licht die Hotspots und die Entwicklung menschlicher Aktivitäten in der Arktis im Zeitraum von 1992 bis 2013 zu quantifizieren.
«Mehr als 800.000 Quadratkilometer waren von Lichtverschmutzung betroffen. Das entspricht 5,1 Prozent der analysierten 16,4 Millionen Quadratkilometer mit einer jährlichen Zunahme von 4,8 Prozent», sagt Prof. Schaepman-Strub in einer Pressemitteilung der Universität.
Insbesondere in der europäischen Arktis und in den Öl- und Gasfördergebieten in Russland und Alaska identifizierte das Forschungsteam künstlich beleuchtete Flächen, wobei in diesen Hotspots bis zu einem Drittel der Landfläche beleuchtet sind. In der kanadischen Arktis hingegen gibt es nur sehr wenige kleine Gebiete, die nächtliche menschliche Aktivitäten zeigen.
«Wir fanden heraus, dass im Durchschnitt nur 15 Prozent der beleuchteten Fläche in der Arktis menschlichen Siedlungen entsprachen. Das bedeutet, dass der grösste Teil des künstlichen Lichts wohl auf industrielle Aktivitäten statt städtischer Entwicklung zurückzuführen ist. Und diese Hauptquelle der Lichtverschmutzung nimmt jedes Jahr flächenmässig und in der Intensität zu», erklärt Cengiz Akandil, Doktorand im Team von Prof. Schaepman-Strub und Erstautor der Studie.
Doch die industriellen Aktivitäten wirken sich unterschiedlich stark aus. Die Studie zeigt, dass die Öl- und Gasindustrie in der Arktis im Vergleich zum Bergbau wesentlich größere Lichtemissionen verursacht. Während beide Industriezweige zu physischen Störungen und langfristigen Umweltschäden führen, ist die räumliche Ausbreitung der Lichtverschmutzung durch die Öl- und Gasproduktion weitaus umfangreicher.
Für die Biodiversität in den betroffenen Gebieten haben die industriellen Aktivitäten und die damit einhergehende Lichtverschmutzung massive negative Auswirkungen. Beispielsweise beeinträchtigt das künstliche Licht Rentiere bei der Nahrungssuche und bei der Flucht vor Raubtieren, da sich ihre Augen weniger gut an das Blau der Winterdämmerung anpassen können. Bei arktischen Pflanzen, die an die kurze Vegetationsperiode perfekt angepasst sind, wird die Blattfärbung und das Aufbrechen der Blattknospen durch das Kunstlicht in der Nacht verzögert.
«In der empfindlichen Permafrostlandschaft und dem Tundraökosystem können schon das wiederholte Trampeln durch den Menschen und erst recht die Spuren von Tundrafahrzeugen langfristige Umweltauswirkungen haben. Diese gehen weit über den von den Satelliten erfassten, beleuchteten Bereich hinaus», sagt Akandil.
Zudem ist die Umweltverschmutzung ein riesiges Problem, nicht nur in den Förder- und Bergbaugebieten selbst, sondern auch weit darüberhinaus entlang von Pipelines und flussabwärts von Industriestandorten wie Norilsk in Russland.
In ihrer Studie betonen die Forschenden, dass die arktischen Ökosysteme aufgrund des schnell voranschreitenden Klimawandels bereits gefährdet sind und die jährliche Ausweitung industrieller Eingriffe den Druck zusätzlich erhöht. Es sei daher von entscheidender Bedeutung, die menschlichen Aktivitäten zu dokumentieren und zwischen Urbanisierung und Industrialisierung zu unterscheiden, um eine nachhaltige Entwicklung der Region zu ermöglichen.
Das Team warnt sogar davor, dass die anthropogenen Eingriffe in die arktischen Ökosystem die Folgen des Klimawandels in den kommenden Jahrzehnten übersteigen oder zumindest verstärken könnten. Bis 2050 könnten 50 – 80 Prozent der Arktis ein kritisches Maß an durch den Menschen verursachter Störung erreichen.
«Unsere Analysen der räumlichen Variabilität und der Hotspots der industriellen Entwicklung sind entscheidend, um die industrielle Entwicklung in der Arktis zu überwachen und zu planen. Diese Informationen können indigenen Völkern, Regierungen und Interessenvertretern helfen, ihre Entscheidungen mit den Zielen für die nachhaltige Entwicklung in der Arktis in Einklang zu bringen», so Prof. Schaepman-Strub.
Julia Hager, Polar Journal AG