Die Arktis enthält Bodenschätze, die für eine klimafreundliche Zukunft immer wichtiger werden. Vor diesem Hintergrund steht Norwegen vor einer Entscheidung mit weitreichenden Folgen: Soll es seine arktischen Tiefseegebiete für den Abbau metallhaltiger Sulfide und Mangankrusten öffnen?
Diese Frage betrifft weit mehr als nur wirtschaftliche Interessen – sie berührt die Zukunft eines der empfindlichsten Ökosysteme des Planeten. Die Debatte fällt in eine Zeit, in der der weltweite Bedarf an Kupfer, Nickel, Kobalt und seltenen Erden rasant steigt. Gleichzeitig wächst der politische Druck, Europas Abhängigkeit von Rohstoffimporten zu verringern.
Welche Rolle spielt die Barentssee im neuen Rohstoffwettlauf?
Die norwegische Regierung leitete 2024 eine erste Lizenzierungsrunde ein – die erste ihrer Art in einem arktischen Staat. Nach massiver Kritik wissenschaftlicher Institutionen, Umweltorganisationen und Teilen der Industrie wurde der Prozess jedoch vorerst gestoppt. Zentraler Kritikpunkt ist der Mangel an belastbaren ökologischen Basisdaten für große Teile der norwegischen Tiefsee, insbesondere in der Barentssee. Diese Region beherbergt einzigartige Lebensräume wie Schwammfelder und Kaltwasserkorallen, deren ökologische Funktionen bislang kaum erforscht sind.
Das Havforskningsinstituttet als auch das norwegische Polarinstitut fordern ein systematisches Monitoring Programm, bevor weitere Entscheidungen getroffen werden.
Bild: MARUM / Universität Bremen
Warum diese Rohstoffe wichtig sind?
Die Energiewende ist ohne Metalle wie Kupfer, Nickel, Kobalt und seltene Erden kaum denkbar.
Laut Weltwirtschaftsforum könnte die Nachfrage nach diesen Rohstoffen bis 2050 um bis zu 500 % steigen.
• Kupfer leitet Strom in Netzen und Ladeinfrastruktur.
• Nickel und Kobalt stabilisieren Batterien für Elektrofahrzeuge.
• Seltene Erden sind essenziell für Windkraftanlagen und Elektromotoren.
Die Herausforderung: Die terrestrischen Vorkommen sind begrenzt, und ihre Förderung ist oft mit erheblichen sozialen und ökologischen Problemen verbunden. Klassischer Bergbau bedeutet nicht nur den Abbau von Landschaften, sondern auch Abholzung, Wasserverbrauch, Bodenerosion und Verschmutzung. In einigen Regionen kommen zusätzlich Menschenrechtsverletzungen, wie Kinderarbeit vor. Dies erhöht das Interesse an alternativen Quellen, darunter auch die arktische Tiefsee.
Technik und Realität: Wie weit ist der Tiefseebergbau?
Der Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee ist ein hochkomplexer Prozess, der modernste Technologien erfordert.
Das Grundkonzept möglicher Abbauverfahren ist bekannt: Lagerstätten werden mithilfe von Sonar und Unterwasserrobotern kartiert, ferngesteuerte oder autonome Unterwasserfahrzeuge lösen die mineralhaltigen Krusten oder Ablagerungen vom Meeresboden und transportieren sie zu Sammelplattformen. Von dort werden die Materialien an die Oberfläche gebracht, wo sie auf Schiffen zwischengelagert und später zur Raffination an Land gebracht werden.
Potenzielles Rohmaterial für metallhaltige Sulfide und Mangankrusten
Bild: Mining-report.de
Viele Verfahren befinden sich noch im Teststadium, und ihre Leistungsfähigkeit unter arktischen Bedingungen ist weitgehend unklar. Die Zusammensetzung des Meeresbodens, Strömungsverhältnisse und biologische Vielfalt unterscheiden sich stark zwischen Regionen wie dem Pazifik und der Arktis – Ergebnisse aus einem Gebiet lassen sich nicht einfach übertragen.
Herausforderungen bestehen insbesondere in:
• präziser Navigation und Stabilisierung unter arktischen Bedingungen
• Energie- und Logistikinfrastruktur bei großer Entfernung zur Küste
• zuverlässiger Kontrolle und Begrenzung von Sedimentwolken
• Rückführung von Prozesswasser in die Tiefe
Welche ökologischen Risiken drohen?
Die arktische Tiefsee gilt als besonders sensibel und Fachleute aus Meeresforschung und Naturschutz warnen vor irreversiblen Schäden und konzentrieren sich dabei auf drei Punkte:
• Zerstörung benthischer Lebensräume wie Schwammfelder, Kaltwasserkorallen und mikrobiell geprägte Sulfidstrukturen.
• Weiträumige Ausbreitung von Sedimentplumes, deren Verhalten in arktischen Strömungssystemen noch kaum untersucht ist.
• Langsame Regenerationsraten: Mangankrusten wachsen nur wenige Millimeter pro Million Jahre. Auch biologische Gemeinschaften an Massivsulfiden zeigen eine extrem langsame Erholung.
Wie reagieren Politik und Wirtschaft?
Die norwegische Regierung argumentiert, dass ein sicher gestalteter Tiefseebergbau zur
Versorgung Europas mit wichtigen Metallen beitragen könnte. Gleichzeitig fordert ein breites
Spektrum an Umweltorganisationen, Forschenden und Teilen der Industrie mehr Vorsicht.
Bemerkenswert ist, dass Unternehmen wie BMW, Volvo oder Google angekündigt haben, vorerst keine Rohstoffe aus Tiefseebergbau beziehen zu wollen. Begründet wird dies mit noch fehlenden wissenschaftlichen Daten und reputativen Risiken.
Wissenschaftliche Institutionen wie GEOMAR, NINA und UiT verweisen auf die Unsicherheit hinsichtlich kumulativer Effekte in einem bereits durch Erwärmung und Ozeanversauerung belasteten Ökosystem.
Welche Alternativen und Lösungen gibt es?
Die Debatte um Tiefseebergbau dreht sich nicht nur um Risiken, sondern auch um mögliche Wege, den Rohstoffbedarf nachhaltiger zu decken.
Dabei stehen die folgenden Ansätze im Fokus:
• Kreislaufwirtschaft und Recycling: Effiziente Rückgewinnungssysteme für Batterien, Elektronik und Infrastruktur sollen mehr sekundäre Rohstoffe liefern.
• Weiterentwicklung terrestrischer Minen: Strengere Umweltauflagen, neue Abbautechniken und bessere soziale Standards sollen negative Folgen begrenzen.
• Technische Innovationen im Tiefseebergbau: Präzise Werkzeuge, optimierte Pumpen und umfassendes Monitoring sollen die Eingriffe minimieren.
Der Bedarf an Metallen ist unbestreitbar – doch die Risiken für die Tiefsee sind ebenso gravierend.
Tiefseebergbau steht damit für das zentrale Paradox unserer Zeit: Wie lässt sich der Übergang zu einer klimafreundlichen Energieversorgung umsetzen, ohne zusätzliche ökologische Belastungen zu schaffen? Die Antwort wird davon abhängen, ob technologische Innovation mit verbindlichen Umweltstandards und umfassender Vorsorge kombiniert werden kann.

