In einem neuen Dokumentarfilm beleuchtet CBS die Herausforderungen, mit denen Churchill konfrontiert ist. Eine Doku, die besonders die Bewohner der für ihre Eisbären berühmten Stadt in den Mittelpunkt stellt.
Der am 14. April dieses Jahres veröffentlichte Dokumentarfilm On the Edge: The People and Polar Bears of a Warming Arctic führt die Zuschauer in das Herz von Churchill, der berühmten Eisbärenhauptstadt der Welt.
Ein Dokumentarfilm, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Und das ist keine leichte Aufgabe für diese Stadt, die für ihre Polarbären bekannt ist und in der die menschlichen Probleme oft in den Hintergrund gedrängt werden.
Doch diese Probleme existieren. Denn die globale Erwärmung stellt nicht nur das Leben der Eisbären auf den Kopf, sondern auch das der Menschen. Wetterveränderungen und -katastrophen, Ernährungsunsicherheit – die rund 870 Einwohner von Churchill müssen sich mit Schwierigkeiten auseinandersetzen, die leider immer mehr zu den arktischen Regionen und Gemeinschaften gehören.
Eine gefährdete Sub-Population
Die an der Hudson Bay gelegene Stadt Churchill ist ein einzigartiger Ort, an dem sich die Eisbären jedes Jahr versammeln, um auf die Bildung des Meereises zu warten, auf dem sie Robben jagen können. Wissenschaftler und Touristen strömen dann in die Stadt, um die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten. Das durch die globale Erwärmung beschleunigte Schmelzen des Eises bringt dieses empfindliche Gleichgewicht jedoch ins Wanken.
Das zeigt der erste Teil des Dokumentarfilms. In Begleitung von Fachleuten von Polar Bears International (PBI) entdeckt das Reportageteam die Bären. Die Zuschauer haben die Gelegenheit, mehr über ihre Gewohnheiten zu erfahren, aber auch über die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind.
Die Eisbären in der Region der westlichen Hudson Bay sind eine von 19 Eisbären-Unterpopulationen in der Arktis. Und sie ist die am stärksten bedrohte. Laut Polar Bears International ist diese Eisbärenpopulation seit den 1980er Jahren um die Hälfte von 1.200 auf etwa 600 Tiere zurückgegangen. Dieser Rückgang hängt mit der kürzeren Dauer der Eisbedeckung zusammen, die die Bären dazu zwingt, mehr Zeit auf dem Festland zu verbringen, weit weg von ihren gewohnten Beutetieren. Diese Verhaltensänderung wirkt sich auf ihre Ernährung, ihre Fortpflanzung und ihr langfristiges Überleben aus.
Die Stadt der Bären ohne Bären?
Wenn die Treibhausgasemissionen nicht drastisch gebremst werden und die Erwärmung im derzeitigen Tempo weitergeht, scheint die Subpopulation der Eisbären in Churchill zum Aussterben verurteilt zu sein. „In fünf Jahren erwarte ich wahrscheinlich, dass die Eisbären noch da sein werden. Ich wäre überrascht, wenn sie es nicht wären“, bemerkt Dr. John Whiteman, leitender Forscher bei Polar Bears International. „Innerhalb der nächsten zehn Jahre fangen die Dinge wirklich an, vage zu werden. Und in 20 bis 30 Jahren, sicherlich noch zu meinen Lebzeiten, wenn sich die Dinge nicht ändern, rechne ich damit, dass es irgendwann nicht mehr möglich sein wird, hierher zu kommen und Eisbären zu sehen.“
Churchill ist ohne seine Bären kaum vorstellbar. Der Bär ist überall: Seine Nase und seine imposante Silhouette sind an Gebäuden, Fahrzeugen und sogar auf der Stadtflagge zu sehen. Diese physische Präsenz steht dem Stellenwert, den die Tiere in der lokalen Wirtschaft einnehmen, in nichts nach.
Der Tourismus entwickelte sich rund um den Eisbären und diversifizierte sich nebenbei durch die Beobachtung von Belugawalen im Sommer und der Nordlichter im Winter. So zog der Tourismussektor im Jahr 2023 fast 25.000 Besucher an, die 88 Millionen Dollar ausgegeben haben.
Angesichts der Bedrohung, die über den Eisbären schwebt – und damit auch über einer der wirtschaftlichen Lebensadern der Stadt (die andere ist der Hafenbetrieb) – haben die Bewohner von Churchill die Initiative ergriffen und versuchen, aktiv gegenzusteuern: Einerseits im Tourismussektor, indem sie ihr Angebot diversifizieren und Aktivitäten rund um Nordlichter und Hundeschlittenfahrten anbieten, andererseits aber auch an den Wurzeln des Problems.
„[Die Zahl der Eisbären] wird zurückgehen, und ich denke, wir müssen die Veränderungen unserer Gewohnheiten wirklich ernst nehmen. Selbst in unserer Familie haben wir auf Hybridfahrzeuge umgestellt und stoßen nicht mehr so viele Emissionen aus. Wir setzen auf Solarpanele und elektrische Systeme, statt Generatoren zu nutzen und Gas zu verbrennen“, erklärt Dave Daley. Der Musher betreibt gemeinsam mit seinem Sohn Wyatt ein Hundeschlittenunternehmen.
Herausforderungen und regionales Gemüse
Von den Folgen des Klimawandels direkt getroffen, erlebt Churchill heute die Unberechenbarkeit des Wetters. Die Stürme werden immer unvorhersehbarer und heftiger. Ein Beispiel dafür ist der Sturm von 2017, der Churchill unter anderem seine Eisenbahnlinie nahm, die durch Überschwemmungen zerstört wurde, und die Gemeinde verwüstete.
„Wir haben 20 bis 25 Jahre an Infrastruktur verloren. So weit hat das die Gemeinde zurückgeworfen“, sagt Mike Spence.
Der aus Churchill stammende Bürgermeister ist seit 1995 im Amt und sieht seine Stadt mit immer größeren Herausforderungen konfrontiert. Und wie in vielen Gemeinden der Arktis gehört auch die Ernährungsunsicherheit dazu.
Bei 13 Dollar für eine Packung Frühstücksflocken explodieren die Lebenshaltungskosten für die Einwohner, die nur einmal pro Woche per Bahn versorgt werden. Die Stadt musste sich also anpassen und das Undenkbare wagen: im hohen Norden eigenes Gemüse anbauen.
„Das ist ein Job, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich ihn einmal machen würde“, sagt Jayden Chapman, während sie bunte Mangoldbündel abschneidet. Sie arbeitet für Rocket Greens, ein Projekt für hydroponische Lebensmittelproduktion, das 2017 nach den Überschwemmungen ins Leben gerufen wurde.
„Wir haben damit angefangen, weil wir keine frischen Lebensmittel mehr hatten. Unsere Bahnverbindung war unterbrochen, alles musste per Flugzeug eingeflogen werden – und Sie können sich vorstellen, wie lächerlich teuer das wurde.“ Teuer – und praktisch verdorben, denn die Produkte brauchten oft Tage, bis sie überhaupt ankamen.
Die Initiative, die auf einem Abonnementmodell basiert, wurde sowohl von Privatpersonen als auch von lokalen Einrichtungen und Geschäften gut angenommen.
„Es ist unglaublich, dass wir hier kompostieren können“, schwärmt eine Bewohnerin von Churchill, während Chapman ihr einen Korb mit frischem Gemüse vorbeibringt.
Denn ja, Churchill – diese Stadt im hohen Norden Kanadas, wo die Eisbären auf das Zufrieren des Meeres warten – besitzt tatsächlich einen gemeinschaftlichen Kompost … der offenbar auch bei den Pelzträgern gut ankommt. Rund um das Gebäude ziehen sich jedenfalls Bärenspuren, ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Zusammenleben hier besondere Vorsicht erfordert – vor allem, wenn es um Abfälle geht. Aber eben nicht nur.
Wenn das Meereis auf sich warten lässt
Ebenso wie die Eisbären blicken auch die Bewohner von Churchill mit Sorge auf die Bildung des Meereises.
„Früher, wenn man zurückblickt, kehrten die Bären in der ersten Novemberwoche aufs Eis zurück. Nächste Woche ist bereits die dritte Novemberwoche – und es gibt noch keinerlei Anzeichen von Eis. Das könnte also ein Problem werden“, bemerkt Bürgermeister Mike Spence.
Um ihre Einwohner zu schützen, hat die Gemeinde das Polar Bear Alert Program ins Leben gerufen – Patrouillen, die rund um die Uhr, sieben Tage die Woche unterwegs sind. Sie reagieren auf sämtliche Anrufe der Bewohner und greifen ein, indem sie mit Leuchtraketen die allzu aufdringlichen Bären vertreiben.
In einem sich verändernden und zunehmend unberechenbar gewordenen Umfeld zu wachsen, ist die Herausforderung, der sich Churchill in den kommenden Jahren und Jahrzehnten stellen muss. „Die Gemeinde Churchill steht an einem Scheideweg und muss schwierige Entscheidungen treffen“, sagt Geoff York, leitender Direktor für Forschung und Politik bei Polar Bears International. Der Wissenschaftler ist bereits zum 16. Mal in der Region.
„Churchill gibt es seit über 300 Jahren, und ich glaube nicht, dass es jemals eine Zeit gab, in der wir nicht kämpfen mussten“, merkt Parker Fitzpatrick an. Seit 30 Jahren Buggy-Fahrer, klingt in seinen Worten die Erfahrung eines Mannes mit, der sagen will: Diese Stadt hat schon so einiges überstanden. Und es gibt noch Hoffnung.
„Ich weiß, dass [die Eisbären] kämpfen, aber ich versuche, positiv zu bleiben, die Botschaft weiterzugeben und alles zu tun, was wir können, um ihnen zu helfen.“
Weitere Informationen: https://www.cbsnews.com/minnesota/ontheedge/
Link zum Dokumentarfilm: https://www.youtube.com/watch?v=iJC3UjCpjYg&t